Was sind die Ursachen und Risikofaktoren eines Deliriums?
Das Delir ist ein akutes und komplexes Syndrom, das auf einer organischen Hirnschädigung beruht. Es ist reversibel und dauert nicht länger als sechs Monate lang an. Es ist gekennzeichnet durch eine Störung des Bewusstseins, der kognitiven Funktionen, der Psychomotorik, des Schlaf – Wach – Rhythmus und der Emotionalität.
Das Delir betrifft 1-2 % der Allgemeinbevölkerung. Der Großteil der Betroffenen, etwa 70 %, sind älter als 65 Jahre. 30-40 % aller Krankenhauspatienten, die älter als 65 Jahre alt sind, entwickeln im Verlauf ihres Aufenthaltes ein Delir. Auf Intensivstationen entwickelt fast jeder dritte Patient ein Delir und ca. 80 % der dort maschinell beatmeten Patienten.
Operationen, wie die Kardiotomie oder ein Hüftgelenksersatz, haben ein besonders hohes Risiko für die Entstehung eines postoperativen Delirs. Weitere Risikofaktoren für die Entwicklung eines Delirs sind ein hohes Alter, eine , der Konsum von Alkohol oder anderen Drogen, ein früheres bereits durchlebtes Delir, schwerwiegende Vorerkrankungen und psychische Veränderungen. Inwiefern das Alter als alleinstehender Risikofaktor zu werten ist, ist umstritten, da es sich lediglich um eine Scheinkorrelation handeln kann.
Da das Risiko einer Demenzerkrankung im Alter zunimmt und eine bestehende Demenz das Risiko der Entwicklung eines Delirs erhöht, steht das Alter ebenfalls mit dem Delir in Korrelation. Auch der Zusammenhang zwischen einem Delir und einer Demenz ist wechselseitig. Denn das Delir führt zu Schäden der Gehirnsubstanz, die zu einer eingeschränkten Kognition führen und im Verlauf eine Demenzentwicklung begünstigen kann.
Die genaue Entstehung eines Delirs ist noch weitgehend unklar, jedoch kommt es durch sogenannte „Stressoren“ zu einer Störung des Hirnstoffwechsels. Es wird vermutet, dass ein Ungleichgewicht der Signalüberträger im vorliegt, mit einem Überschuss an Dopamin und einem Verlust an Acetylcholin. Darüber hinaus geht man davon aus, dass es zu direkten Hirnschäden, einer erhöhten Cortisol-Ausschüttung und einer Entzündungsreaktion im Gehirn kommt. Diese Entzündungsreaktion mit den dadurch entstehenden Schäden im Gehirn stellt möglicherweise eine Ursache für das erhöhte Risiko einer späteren Demenzentwicklung dar.
Alle Faktoren, die einen psychischen oder körperlichen Stress auf den Patienten ausüben, können ein Delir auslösen und werden als „Stressoren“ bezeichnet. Häufige körperliche Stressoren, die im Rahmen von Krankenhausaufenthalten beobachtet werden, sind:
- Eine Unterernährung oder eine Dehydrierung (Exsikkose)
- Ein Harnverhalt
- Hirnveränderungen, wie ein , eine oder ein Hirninfarkt
- Schädigungen des Herzens, wie ein oder ein Schockzustand mit erhöhter Herzfrequenz (Tachykardie) und erniedrigtem Blutdruck (Hypotonie)
- Infektiöse Komplikationen wie , eine Hirnhautentzündung (), eine (Pneumonie) oder ein Harnwegsinfekt
- Stoffwechselveränderungen, wie eine Unter- (Hypoglykämie) oder Überzuckerung (Hyperglykämie), Elektrolytveränderungen, eine Schilddrüsenunter- (Hypothyreose) oder eine (Hyperthyreose), eine Leberinsuffizienz oder eine
- Ein Sauerstoffmangel bedingt durch eine Blutarmut (), eine oder eine
- Ein Trauma mit starken körperlichen Verletzungen
- Operationen
- Vergiftungen
- Entzugssymptomatik
- Medikamente wie Antidepressiva, Antihistaminika, Parkinsonmedikamente oder Antipsychotika
Psychische Stressfaktoren, die mit der Entstehung eines Delirs in Zusammenhang stehen, sind Schmerzen, , ein eingeschränktes Hör- und Sehvermögen oder eine Isolation mit Immobilisierung. Des Weiteren begünstigt ein häufiger Ortswechsel mit wechselnden Bezugspersonen und eine Fixierung an das Bett ein Delir. All diese Stressfaktoren führen zu einem Verlust der Orientierung und der Kontrolle und einer daraus resultierenden Hilflosigkeit.
Was sind die Symptome eines Deliriums?
Das Delir beginnt akut und kann einen schwankenden Verlauf nehmen. Typisch sind Schwankungen im Tagesverlauf. Die Dauer der Symptome ist auf sechs Monate begrenzt. Erste Anzeichen eines beginnenden Delirs sind eine Unruhe und Angstzustände.
Die Aufmerksamkeit, das Bewusstsein und die Wahrnehmung inklusive der Emotionen sind gestört. Zusätzlich kann es zu Störungen der Stimmung, in Form von Aggressivität, Angstzuständen, depressiven Verstimmungen oder Euphorie, kommen. Die Patienten sind stark beeinflussbar (erhöhte Suggestibilität) und lassen sich von Gedanken leiten, die im Widerspruch mit der Realität stehen. So kann der Patient dazu aufgefordert werden, einen nicht existierenden Faden zu greifen und er wird dies, ohne zu hinterfragen, tun. Es kommt zu Wahrnehmungsstörungen mit optischen, selten auch akustischen, . Die Auffassungsfähigkeit ist stark herabgesetzt. Denkstörungen präsentieren sich durch unlogische oder sprunghafte Denkabläufe.
Wie wird das Delirium diagnostiziert?
Die Diagnostik sollte dazu dienen, schnellstmöglich die Ursache des Delirs festzustellen, da ein Delir unbehandelt zu weitreichenden Komplikationen bis hin zum Tod führen kann.
Untersuchung Delir
Ein Gespräch mit den Angehörigen kann Antworten auf die Frage nach vorbestehenden Erkrankungen und Operationen, nach der Einnahme von Medikamenten und Drogen oder nach bestehenden Risikofaktoren geben.
Es existieren verschiedene Screening Methoden, unter anderem die CAM (Confusion Assessment Method), die CAM-ICU für Intensivstationen oder verschiedene Checklisten, die in Krankenhäusern oder Pflegeeinrichtungen zum Einsatz kommen.
In der körperlichen Untersuchung geben die Vitalparameter (Herzfrequenz, Atemfrequenz, Blutdruck, Temperatur, EKG, Sauerstoffsättigung) und die Beurteilung der Flüssigkeitsaufnahme Hinweise auf die zugrundeliegende Ursache. Auch neurologische Symptome sollten überprüft werden.
Als Teil der Standarddiagnostik werden eine Auswahl an Blutwerten bestimmt und eine Urinprobe entnommen. Die wegweisenden Blutwerte sind:
- Blutzucker zum Ausschluss einer Unter- (Hypoglykämie) oder Überzuckerung (Hyperglykämie)
- kleines Blutbild zur Bewertung aller Blutzellen
- Nierenwerte (Kreatinin, Elektrolyte, Harnstoff) zur Einschätzung der Nierenfunktion
- Leberwerte (ALT, AST, GGT) zur Einschätzung der Leberfunktion
- Entzündungswerte (CRP, Procalcitonin) als Zeichen einer Infektion
- Schilddrüsenwerte (TSH) zum Ausschluss einer Schilddrüsenüber- (Hyperthyreose) oder (Hypothyreose)
- Bauchspeicheldrüsenwerte (Amylase, Lipase) zum Ausschluss einer (Pankreatitis)
- Herz- und Muskelwerte (CK, Troponin, CK-MB) zum Ausschluss eines Herzinfarktes (Myokardinfarkt)
- Gerinnungsparameter zur Einschätzung des Risikos einer Blutung oder einer
Je nach Verdachtsdiagnose können sich weitere Untersuchungen anschließen. Hierzu zählen ein EKG, eine Ableitung der Hirnströme (EEG), eine Untersuchung des Hirnwassers (Liquordiagnostik) oder auch eine CT- oder MRT-Untersuchung.
Sind die folgenden sechs Diagnosekriterien zutreffend, kann ein Delir nach ICD – 10 diagnostiziert werden:
Störung des Bewusstseins und der Aufmerksamkeit
Es liegt eine Störung des Bewusstseins und der Aufmerksamkeit vor. Bewusstseinsstörungen unterteilt man in quantitative und qualitative Störungen. Quantitativ werden die Störungen in Schweregrade, von einer leichten Bewusstseinsminderung bis hin zum Koma, unterteilt. Qualitative Bewusstseinsstörungen bezeichnen die Art der Störung. Hier kann eine Eintrübung des Bewusstseins, eine Einengung oder eine Bewusstseinsverschiebung vorliegen.
Störung der Wahrnehmung und der Kognition
Die Wahrnehmung und die Kognition sind gestört. Insbesondere das Kurzzeitgedächtnis ist betroffen. Das Langzeitgedächtnis bleibt meistens erhalten. Die Betroffenen verfügen über einen Verlust der zeitlichen Orientierung. Selten kann auch die Orientierung bezüglich des Ortes, der Situation oder der eigenen Person fehlen.
Störung der Psychomotorik
Es liegt mindestens einer der nachfolgenden Hinweise auf eine Störung der Psychomotorik vor:
- Die Aktivität des Patienten ist entweder stark erhöht oder vermindert. Je nach Aktivität kann man ein hypoaktives von einem hyperaktiven Delir unterscheiden, wobei es auch zu abrupten Wechseln zwischen beiden Formen kommen kann.
- Die Reaktionsgeschwindigkeit der Patienten ist verlangsamt
- Die Sprechgeschwindigkeit kann verlangsamt oder erhöht sein
- Der Betroffene ist sehr schreckhaft
Störung des Schlafrhythmus
- Der Tag-Nacht-Rhythmus ist umgekehrt. Die Patienten schlafen tagsüber und sind nachts schlaflos.
- Nachts kommt es zu einer Verschlimmerung der Symptome
- Es treten gehäuft Albträume auf, die sich nach dem Wachwerden als Halluzinationen fortsetzen können
Die Symptome beginnen akut und schwanken im Tagesverlauf.
Die ärztliche Untersuchung gibt Hinweise auf eine organische Ursache und die Wirkung von Medikamenten wird als Ursache ausgeschlossen.
Therapie bei Delirium
Die bestmögliche Therapie besteht in der Identifikation und Beseitigung der zugrundeliegenden Ursache. Die Gabe von Flüssigkeit ist fast immer notwendig, da eine Dehydrierung die häufigste Ursache für ein Delir bei alten Menschen darstellt. Eine Fixierung der Patienten sollte so lange wie möglich vermieden werden, da dies ein eigenständiger Risikofaktor für die Entstehung eines Delirs darstellt. Drohen eine Selbst- und eine Fremdgefährdung, dient die Fixierung des Patienten am Bett als Schutzmaßnahme.
Alle Medikamente, die der Patient aufgrund von anderen Vorerkrankungen einnimmt, sollten auf ihr Potenzial ein Delir auszulösen überprüft werden.
Nicht-medikamentöse Therapieoptionen helfen, die deliranten Symptome zu lindern und sollten ebenfalls zur Prophylaxe weiterer deliranter Zustände zur Anwendung kommen. Um die Orientierung wiederherzustellen, hilft es eine entspannte Umgebung mit Orientierungshilfen, wie beispielsweise einer Uhr, zu schaffen. Wenn möglich, sollte immer das gleiche Pflegepersonal für den Patienten zuständig sein. Das Zimmer sollte nicht gewechselt oder umgeräumt werden. Um einen regelmäßigen Schlaf-Wach-Rhythmus zu garantieren, sollten die Patienten tagsüber durch eine Ergo- oder Physiotherapie aktiviert werden und nachts mithilfe von Licht- und Lärmregulierungen schlafen. Hat der Patient Hör- oder Seheinschränkungen, kann es hilfreich sein, ein Hörgerät oder eine Sehhilfe zu verschreiben.
Zusätzlich können Medikamente in die Therapie einbezogen werden. Zum Einsatz kommen sie, wenn die Symptome zu einer Eigen- oder Fremdgefährdung führen. Sie führen nicht zu einer Heilung des Delirs, sondern mildern lediglich die Symptomatik. Mittel der Wahl sind die Antipsychotika. Bei ausgeprägten Erregungszuständen stellen die Benzodiazepine die letzte Therapiemöglichkeit dar.
Wie ist die Prognose eines Deliriums?
Da das Delir oft bei bereits vorerkrankten, älteren Menschen auftritt, hat das Delir einen negativen Einfluss auf den Krankheitsverlauf dieser Erkrankungen. Die Sterblichkeit liegt bei etwa 30 %, wenn das Delir unbehandelt bleibt. Wird es behandelt, so sinkt die Sterblichkeit auf 1-2 %.
Des Weiteren erschwert das gleichzeitige Auftreten eines Delirs die Therapie der ursprünglichen Erkrankung, was eine längere Verweildauer innerhalb des Krankenhauses nach sich zieht. Das Risiko, eine Pflegebedürftigkeit zu entwickeln, ist ebenfalls stark erhöht.
Wie bereits erwähnt kann die Schädigung des Gehirns im Rahmen eines Delirs im Laufe der Zeit zu einer Demenzentwicklung oder der Ausprägung von bleibenden kognitiven Defiziten führen.
Empfehlungen zur Nachsorge bei einem Delirium
Eine gute Prophylaxe ist von großer Bedeutung, um das erneute Auftreten eines deliranten Zustandes zu verhindern. Bekannte Risikofaktoren sollten, wenn möglich, moduliert werden. Hierzu zählen die Vermeidung von Alkohol und anderen Drogen und die Therapie von bereits bestehenden Erkrankungen. Die nicht-medikamentösen Therapieoptionen des Delirs dienen ebenfalls der Primärprophylaxe eines weiteren Delirs. Die Umgebung des Betroffenen sollte ruhig und entspannt und mit Orientierungshilfen, beispielsweise einer Uhr, versehen sein. Ein fester Tag-Nacht-Rhythmus wird durch eine Aktivierung tagsüber und eine Förderung des Schlafes nachts, durch eine Licht- und Lärmreduktion, etabliert.
Bei eingeschränkter Hör- oder Sehfähigkeit sollte ein Hörgerät oder eine Sehhilfe angeschafft werden. Der Patient sollte, wenn möglich, nicht aus seinem gewohnten Umfeld herausgerissen werden. Jede Veränderung kann als Stressor wirken und die Entstehung eines Delirs bewirken. Werden diese Maßnahmen konsequent ausgeschöpft, kann das Risiko für das Auftreten eines Delirs um 25 % reduziert werden.
Bei alten Menschen kann die Gabe von Haloperidol, einem Antipsychotikum, und Dexmedetomidin, welches in der Schmerzbehandlung zum Einsatz kommt, vor Operationen in Erwägung gezogen werden, um die Dauer und den Schweregrad eines Delirs zu senken.
Zusammenfassung
Das Delir ist eine akute Störung des Bewusstseins, der Aufmerksamkeit, der Wahrnehmung, des Denkens, des Gedächtnisses, der Psychomotorik und des Schlaf-Wach-Rhythmus. Abhängig von dem Auslöser kann es sich um ein postoperatives Delir, ein Fieberdelir oder ein Entzugsdelir handeln. Es handelt sich um eine der häufigsten Ursachen für kognitive Defizite bei geriatrischen Patienten. Die Diagnose wird anhand der Symptomatik gestellt, wobei man immer nach der Ursache suchen sollte. Therapeutisch sollte die Ursache beseitigt werden und eine Flüssigkeitsgabe erfolgen.