Experteninterview mit Dr. Timo Klein-Soetebier
Über Dr. Timo Klein-Soetebier:
Dr. Timo Klein-Soetebier leitet das Lehr- und Forschungsgebiet Tischtennis an der Deutschen Sporthochschule Köln. Jedes Semester bildet er knapp 200 Studierende, angehende Sportlehrer:innen und Sportwissenschaftler:innen im Fach Tischtennis aus. Parallel dazu forscht er zu verschiedenen Themenfeldern in der Sportart Tischtennis, z. B. zu Wahrnehmungsaspekten, psychologischen Trainingsformen, zur Wirksamkeit auf neurodegenerative Erkrankungen (z.B. Morbus Parkinson), uvm.
Welche spezifischen motorischen Fähigkeiten werden durch das Tischtennistraining bei Parkinson-Patienten verbessert?
Die Frage ist gar nicht so einfach zu beantworten, da die Effekte des Tischtennisspielens bei jedem Spieler und bei jeder Spielerin anders ausfallen. Am Häufigsten lassen sich in den ersten Minuten des Trainings flüssigere Bewegungen beobachten.
Zunächst sind die Bewegungen des Schlägers und der Beine noch sehr steif, ruckartig und klein (Bradykinese, teilweise Rigor), dann wird es mit zunehmender Spieldauer immer fließender und großräumiger. Auch das typische Zittern (Ruhetremor) wird bei vielen besser, sobald der Ball im Spiel ist.
Dadurch, dass beim Tischtennis ständig kleine Richtungsänderungen der oberen (Arme, Hand, Schläger) und unteren Extremitäten (Beinarbeit, kleine Schritte) ausgeführt werden müssen, sind – ähnlich wie beim Pertubationstraining – ständig kleine Justierungen der Körperhaltung erforderlich. Mit dem Unterschied, dass es den meisten mehr Spaß macht!
Welche Rolle spielt die Hand-Augen-Koordination im Tischtennis und wie trägt sie zur Verlangsamung der Parkinson-Symptome bei?
Das richtige Timing ist natürlich enorm wichtig beim Tischtennis. Man hat nicht so viel Zeit auf den anfliegenden Ball zu reagieren; man muss sehr konzentriert und aufmerksam sein. Ohne ein gutes Zusammenspiel von Auge und Hand funktioniert das nicht.
Die Vorteile beim Tischtennisspielen sind, dass zum einen eben diese Hand-Augen-Koordination trainiert wird und, vielleicht noch wichtiger, es sich zum anderen meist um reflektorische Bewegungen handelt . Diese reflektorischen Bewegungen funktionieren bei Personen mit Parkinson in der Regel relativ gut. Das heißt sie können besser auf einen spontanen Reiz (hier den anfliegenden Ball) reagieren als gleichmäßig, konstante Bewegungen auszuführen (z.B. einen Ball präzise zuwerfen).
Neben der Hand-Augen-Koordination werden beim Tischtennis parallel auch andere koordinative Fähigkeiten geschult: zum Beispiel das Gleichgewicht, die kinästhetische Differenzierungsfähigkeit, wenn man beispielsweise den Krafteinsatz genau dosieren muss, oder die Reaktionsfähigkeit. Dies gilt natürlich nicht nur bei Parkinsonpatienten.
Wie lange dauert es in der Regel, bis Patienten erste Verbesserungen durch das Training spüren?
Die Verbesserungen erscheinen unverzüglich. Schon in den ersten Trainingsminuten fallen Verringerungen der Symptome auf. Die sind so offensichtlich, das sieht jeder auf den ersten Blick. Die Bewegungen werden ruhiger, kontrollierter, teils fällt es gar nicht auf, dass die Person Parkinson hat. Wenn Sie Betroffene in einem fortgeschrittenen Krankheitsstadium in der Halle auf der Bank sitzen sehen, fragen Sie sich: Wie soll der gleich Tischtennis spielen? Sobald der Ball dann das erste Mal den Schläger verlässt, denken Sie da steht ein anderer Mensch vor Ihnen. Als wäre das alles vorher nur „gespielt“. Wenn Sie nach dem Training dann aber sehen wie die Person Probleme hat von der Platte wegzukommen, auf dem Weg einfriert (Freezing) oder kurz davor ist zu stürzen, wird Ihnen klar, dass das ganze nur eine kurze „Auszeit“ von der Krankheit war.
Das ist auch das was viele Betroffene berichten: Während des Spielens vergessen sie ihre Krankheit. Sie konzentrieren sich nur auf den Ball und versuchen sich zu verbessern.
Haben Sie Unterschiede in der Wirksamkeit des Tischtennistrainings bei
verschiedenen Stadien der Parkinson-Erkrankung festgestellt?
Kurz gesagt: Nein. Aber nicht, weil es diese Unterschiede nicht gibt, sondern weil es einfach noch nicht erforscht ist. Belastbare Befunde sind insgesamt Mangelware. Es gibt derzeit nur zwei wissenschaftliche Studien, die sich mit der Wirksamkeit von Tischtennis auf Parkinson beschäftigen. Eine japanische Studie von Inoue und Kollegen (2022) und eine aus Schweden (Olsen et al., 2021). Beide Studien waren sehr kurzfristig angelegt und die kleinen Fallzahlen (N < 10) lassen nur bedingt Schlussfolgerungen zu.
Daher sind wir aktuell daran eine größere Studie über den „PingPongParkinson e.V. Deutschland“ zu organisieren. Es soll eine deutschlandweite Studie an den zahlreichen PPP-Stützpunkten werden, die über einen längeren Zeitraum von 2-3 Jahren sowohl motorische, psychologische und soziale Parameter dokumentiert und dabei auch Auswirkungen auf die Medikation, die Sturzgefahr und auch die empfundene Belastung von Angehörigen erfasst. Sobald wir dafür die nötigen Mittel auftreiben, kann es losgehen.
Was war bisher die überraschendste Erkenntnis aus Ihrer Forschung?
Als ich mich mit der Erkrankung noch nicht so gut auskannte, habe ich natürlich in den ersten Monaten nur an die motorischen Symptome von Parkinson gedacht und wie bzw. warum Tischtennis dagegen so gut hilft. In vielen Gesprächen mit Betroffenen wurde mir dann mehr bewusst, dass viele Begleiterscheinungen der Erkrankung teilweise genauso schlimm sind.
Beispielsweise scheiden viele sehr plötzlich aus dem Berufsleben aus und ihr Tag hat keine Struktur mehr. Da kann Tischtennis dann ein fester Termin am Tag sein auf den man sich vorbereitet.
Genauso kommt es bei vielen zu Problemen mit der Sprachmotorik – das erschwert den Kontakt mit Freunden und Bekannten. Es ist den Leuten unangenehm und kann zu sozialer Isolation führen. Das Vereinsleben ist hier anders. Es geht primär um Tischtennis, um die Verbesserungen der Techniken, die Probleme bei manchen Aufschlägen, die richtige Taktik gegen diesen oder jenen. Diese Integration kann vielen Problemen, die bis zur Depression reichen können, zumindest teilweise entgegenwirken.
Eine letzte Erkenntnis von mir, die vielleicht einen Gedanken wert ist: Parkinson ist eine prodegenerative Krankheit ohne Hoffnung auf Heilung. Jeden Tag kommt irgendetwas hinzu, was nicht mehr so funktioniert wie am Vortag. Tischtennis hingegen ist eine Sportart in der die Lernkurve gerade zu Beginn sehr steil ist. Man verbessert sich sichtbar von Einheit zu Einheit. Dies kann ein nicht zu unterschätzender Effekt sein – ausnahmsweise wird mal was besser!