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Mit dem Rauchen aufhören: Wie Evidenzbasierte Konzepte den Unterschied machen

Stephan_Muehlig

Interview mit Prof. Dr. Stephan Mühlig

Über Prof. Dr. Stephan Mühlig:

Prof. Dr. Stephan Mühlig wurde in Barsinghausen bei Hannover geboren. Er studierte unter anderem Sozialwissenschaften und Psychologie in Oldenburg. Nach seiner Promotion und Habilitation an der Universität Bremen war er dort 

12 Jahre lang in der Rehabilitationsforschung tätig. Ab 2002 übernahm er mehrere Leitungspositionen an diversen Lehr- und Forschungsbereichen an der TU Dresden und der HU Berlin sowie am Humboldt-Klinikum Berlin. Im Jahr 2005 fand er seinen Weg nach Chemnitz und wurde 2007 auf die Professur für Klinische Psychologie und Psychotherapie der Technischen Universität Chemnitz berufen. Mit der vor anderthalb Jahren gegründeten Psychotherapeutische Hochschulambulanz an der TU Chemnitz (PHA-TUC) möchte er eine evidenzorientierte Ausbildung in klinischer Psychologie, Psychotherapie und Suchtforschung ermöglichen sowie praxisrelevante Forschungsprojekte initiieren. 

Mühlig war über 30 Jahre lang selbst schwer abhängiger Raucher. 2002 gelang ihm nach mehrfachen Versuchen die nachhaltige Tabakabstinenz. Im selben Jahr wurde das Thema Rauchen und Tabakentwöhnung zu einem seiner zentralen Forschungsgegenstände, zunächst an der TU Dresden, ab 2007 an der TU Chemnitz. 2008 gründete er die Raucherambulanz Chemnitz, wo er ein eigenes Entwöhnungsproramm entwickelte zahlreiche Entwöhnungsgruppen selbst leitete. Mühlig leitete die ATEMM-Studie, die die Wirksamkeit eines krankheitzsspezifischen Entwöhnungspromgrammes für COPD-Patient:innen im naturalistischen Setting unter state of the art-Bedingungen untersuchte.

Viele Rauchentwöhnungsprogramme weisen nur mäßige Erfolgsraten auf. Warum glauben Sie, dass dies der Fall ist?

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Tabakentwöhnungsangebote unterscheiden sich sehr stark hinsichtlich Qualität, Umfang, Evidenzbasierung, Fach- und Spezialqualifikation der Anbieter, Setting und weiteren Merkmalen. Evidenzbasierte Konzepte, die in Form verhaltenstherapeutischer Gruppen von qualifizierten Spezialisten im Umfang von 10-16 Behandlungseinheiten angeboten werden, erreichen Einjahres-Abstinenzquoten von 30-50%. Ab 12 Monaten Dauerabstinenz bleibt diese meist langfristig stabil, danach fangen nur wenige wieder an zu rauchen. Allerdings wird pro ernsthaftem Rauchstoppversuch selbst bei den besten Angeboten mindestens die Hälfte der Teilnehmer innerhalb von 12 Monaten leider wieder rückfällig. Immerhin gelingt von diesen wiederum ca. die Hälfte zumindest eine nachhaltige Konsumreduktion.

Was sind die Gründe für diese hohe Rückfallrate?

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In der Gesamtbetrachtung aus empirischer Befundlage und eigener klinischer Erfahrung sind m.E. dafür mehrere Faktoren auf Patientenseite verantwortlich, die interindividuell stark variieren: 1. Viele Raucher:innen gehen den Rauchstopp aus extrinsischer Motivation, mit ambivalenter Grundhaltung und letztlich nur halbherzig an. Diese Teilgruppe macht sich die Bedeutung der Tabakabstinenz für die Gesundheit nicht ausreichend klar. 2. Eine weitere Gruppe von Raucher:innen scheitert, weil sie übertriebene Erwartungsängste in Bezug auf die Entzugserscheinungen entwickelt haben, die Entzugssymptome stark überbewerten oder ihre Fähigkeiten, diese zu bewältigen (Selbstwirksamkeit) massiv unterschätzen. 3. Teilnehmende und oftmals auch die Behandelnden unterschätzen auch immer noch das Suchtpotenzial und die Macht konditionierter Auslöser für Cravingattacken, die selbst Wochen und Monate bis sogar Jahre nach dem Abstinenzerfolg mit teils überraschender Intensität auftreten können. 4. Nach erfolgreichem Entzug überschätzen abstinente Raucher:innen ihre Widerstandskraft und gehen unnötige Risiken für Rückfallsituationen ein, experimentieren bspw. mit „Ausnahmezigaretten“ oder lassen sich durch Andere zum Mitrauchen verführen, insbesondere unter Alkoholeinfluss. 5. Manchen Raucher:iinen gelingt es nicht rechtzeitig, einen ausreichenden Ersatz für die Funktionalitäten der Zigarette zu finden. Diese entscheiden sich dann u.U. ganz bewusst, wieder mit dem Rauchen anzufangen, da sie der Illusion erliegen, dass das Rauchen ihnen eine wichtige „Stütze im Alltag“ gebe, z.B. „zur Stressreduktion“. Die Praxiserfahrung sowie die Befundlage zeigt, dass abhängige Raucher:innen meist mehrere Anläufe bis zur dauerhaften Abstinenz benötigen und sich von vorneherein darauf einstellen sollten, um sich nicht nach jedem Rückfall langfristig entmutigen zu lassen. Insgesamt noch wichtiger sind in meinen Augen aber die strukturellen Ursachen der unbefriedigenden Situation der Tabakkontrolle in Deutschland: Trotz aller Kontrollmaßnahmen besteht in Deutschland nach wie vor eine ständige Verfügbarkeit des Suchtstoffes und eine permanente Konfrontation mit Suchttriggern im Alltag (Automaten, Supermarkt, Tankstellen, Werbung). Abstinente Raucher:innen sind täglich zahlreichen Verführungssituationen ausgesetzt, die Suchtverlangen triggern und Rückfälle auslösen können. Rauchgelegenheiten wurden zwar eingeschränkt (z.B. Arbeitsstätten, Gaststätten, Kliniken), aber noch nicht so konsequent wie in vielen anderen Ländern. Zigaretten sind bei uns, verglichen mit anderen Ländern, auch immer noch zu kostengünstig. Um eine abschreckende Wirkung zu erzielen, die sich auch substanziell auf die Verringerung der Raucherrate in der Bevölkerung niederschlägt, wären drastische (und nicht kleinschrittige!) Steuererhöhungen erforderlich. Die schrittweise Preiserhöhung stellt eine boiling the frog-Methode dar, bei der Konsumenten sich sukzessive an die finanzielle Mehrbelastung gewöhnen und nicht motiviert werden, aus dem Topf zu springen. Der letzte und besonders ärgerliche Grund für den mangelnden Abstinenzerfolg besteht darin, dass in Deutschland professionelle Hilfsangebote nicht flächendeckend zur Verfügung stehen und dass die Tabakabstinenztherapie bislang nicht als Regelheilleistung von den Kassen finanziert wird. Der Anteil der Tabakentwöhnung unter allen Präventionsleistungen der GKV in Deutschland liegt weit unter 1%, für Ärzt:innen und Psychotherapeut:innen in der vertragsärztlichen Versorgung kann diese als Therapieleistung nicht abgerechnet werden. Hier ist gerade Bewegung in die politischen Entscheidungsprozesse geraten, die Hoffnung auf eine verbesserte Versorgungssituation machen können.

Wie unterscheidet sich die „AOK PLUS-Studie zur strukturierten Tabakentwöhnung“ von anderen bisherigen Studien zu diesem Thema?

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Bei der Atemm-Studie handelt es sich um eine Feldstudie unter naturalistischem Bedingungen der Versorgungsrealität, in welcher im prospektiven quasiexperimentellen Design die Wirksamkeit einer state-of-the-art-Tabakentwöhnung mit der Standardversorgung (ärztlicher Rat und Kurzmotivierung zum Rauchstopp) verglichen wurde. Diese Phase IV-Studie wurde blockrandomisiert angelegt und der Abstinenzerfolg nach 6 und 12-M-Follow-up mit objektiven Outcomes gemessen und nach strengen Kriterien (ITT-Analyse) bewertet. Der Innovationscharakter des Projekts besteht darin, dass a) ein strukturiertes, krankheitsspezifisches und evidenzbasiertes Tabakentwöhnungskonzeptes nach der S3-Leitlinie Tabakentwöhnung (bei COPD) neu entwickelt wurde und b) im Rahmen eines Pilots die vollständigen Kosten für die fachärztliche und psychotherapeutische Tabakentwöhnung sowie die medikamentöse Begleitbehandlung (Vareniclin und NET) von der GKV übernommen wurde. Zudem wurde ein 12-monatiger Nachbetreuungszeitraum mit regelmäßigen, telefonischen Kontakten zur Unterstützung der Patienten realisiert. Die Erprobung der Intervention in Fachpraxen erfolgte ganz gezielt unter unverfälschten Realbedingungen, um später einen optimalen Praxistransfer zu gewährleisten. Das Programm wurde nach erfolgreichem Abschluss der Studie für Sachsen und Thüringen von der AOP PLUS in die Regelversorgung implementiert. Allein die Arzneimittelerstattung konnte aufgrund der noch bestehenden Gesetzeslage (§34 SGB-V) nicht übernommen werden, obwohl die Kasse dazu bereit gewesen wäre.

Welche spezifischen psychotherapeutischen Techniken sind aus Ihrer Sicht am vielversprechendsten, um den Rauchstopp zu unterstützen?

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Professionelle Tabakentwöhnungsangebote basieren meist auf kognitiv-verhaltenstherapeutischen Verfahren und beziehen eine Vielzahl von Methoden und Interventionen ein, die in einer therapeutisch sinnvollen Kombination und Reihenfolge auf den Einzelfall abgestimmt werden. Wir nutzen bspw. eine standardisiertes Programm mit festen Elementen aus Psychoedukation, Motivationsstärkung und Entscheidungsfindung, kognitiver Umstrukturierung, Verhaltensmanagement mittels Reizkontrolle und Verstärkern, Achtsamkeitsbasierten Ansätzen sowie Rückfallprophylaxe besteht. Diese modularen Elemente werden dann je nach spezieller Problemlage zusammengestellt und ggfs. um weitere Interventionen ergänzt. Individualisierte Gruppentherapie klingt zunächst paradox, aber die konzeptuelle Grundstruktur der Gruppentherapie lässt sich durchaus mit individualisiertem Vorgehen vereinbaren, z.B. indem für jeden Teilnehmenden spezifische Elemente im Gruppensetting unterschiedlich vertieft oder individualisierte Trainingsaufgaben verteilt werden.

Was würden Sie einem COPD-Patienten raten, der Schwierigkeiten hat, mit dem Rauchen aufzuhören?

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Wenn es nicht auf Anhieb klappt: Das Aufgeben niemals aufgeben! Für COPD-Patient:innen ist der Rauchstopp – wie für andere Risikogruppen – von existentieller Bedeutung. Dies muss man sich zunächst wirklich klar machen und alle kognitiven Vermeidungs- und Bagatellisierungsstrategien durchbrechen. Wenn man sich dieser Wahrheit stellt, wird eine kognitive Dissonanz erzeugt, die temporär ein „window of opportunity öffnet für eine tragfähige Veränderungsentscheidung. Oft werden diese Einsichtsmomente im Kontext medizinischer Ereignisse (z.B. Klinikeinweisung) erleichtert. Ist die Entscheidung zum Rauchstopp getroffen, sollte sie möglichst schnell in die Tat umgesetzt werden. Hier hilft zum Beispiel, wenn man eine nahestehende Person dafür gewinnt, den Plan zu unterstützen. Bei langjähriger Abhängigkeit ist es zielführender, gleich professionelle Unterstützung durch Tabakentwöhnungsspezialisten zu suchen. Unbegleitete Eigenversuche sind nur selten erfolgreich und können die Aufhörmotivation nachhaltig wieder zunichte machen. Dann anfangen mit dem Aufhören – und zwar solange und immer wieder, bis das Ziel nachhaltig erreicht ist. Beharrlichkeit ist der Weg zum nachhaltigen Erfolg!

Gibt es Indikatoren die dem Patienten/der Patientin einen Hinweis über die Qualität der Betreuung und Begleitung in einem Programm vermittelt?

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Tabakentwöhnungskurse mit Kostenerstattungsanteilen durch die GKV nach §20 Prävention im SGB-V werden in Deutschland von der Präventionsstelle der Krankenkassen geprüft und zertifiziert. Dabei wird sowohl die Qualifikation der Anbieter als auch die evidenzbasierte Qualität, die Evaluation und der Umfang der Programme streng geprüft. Darüber hinaus gibt es Kataloge qualitätsgeprüfter Anbieter nach Regionen auf der Homepage der BZgA oder Empfehlungen von diversen medizinischen oder psychologischen Fachgesellschaften. Am einfachsten ist es also, auf derartige Qualitätssiegel zu achten. Es zudem ein klares Indiz für die Unseriosität eines Angebotes: Wenn sehr hohe Erfolgsquoten mit wenig Aufwand versprochen werden, sollte das grundsätzlich skeptisch machen.

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