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Persönliche Finanzplanung und Altersvorsorgestrategie werden wichtiger

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Interview mit Prof. Dr. Michael Heuser

Über Prof. Dr. Michael Heuser:

Prof. Dr. Michael Heuser ist Wissenschaftlicher Direktor des Deutschen Instituts für Vermögensbildung und Alterssicherung (DIVA) in Frankfurt am Main. 

Das DIVA ist ein An-Institut der Fachhochschule der Wirtschaft (FHDW) und versteht sich als Meinungsforschungsinstitut für finanzielle Verbraucherfragen. Es wird von vier namhaften Vermittlerverbänden getragen. Veröffentlichungen des DIVA und weitere Informationen unter www.diva.de .

Herr Prof. Heuser, wie beurteilen die Menschen aktuell ihre Altersabsicherung?

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Wir ermitteln regelmäßig den Deutschen Altersvorsorge-Index, kurz DIVAX Altersvorsorge. Er misst das Meinungsklima der Menschen in Deutschland bezüglich ihrer Gesamtabsicherung im Alter aus gesetzlicher, betrieblicher und privater Altersvorsorge. Die Stimmung scheint sich etwas aufzuhellen. Nach 2 Jahren im Minus dreht der DIVAX Altersvorsorge im 1. Halbjahr 2023 wieder in den positiven Bereich. Allerdings, das darf nicht übersehen werden, überschreitet der Index mit 1,2 auf einer Skala von -100 bis +100 nur knapp die Null-Linie. Zudem mag sich die verhalten wachsende Zuversicht aus recht üppigen gesetzlichen Rentensteigerungen im Juli 2023 und auch aus allmählich wieder steigenden Zinsen für private Altersrücklagen speisen. Das ist trügerisch. Denn die gesetzlichen Rentenerhöhungen ebenso wie die Renditen privater Altersvorsorge bleiben weiter hinter der Inflationsrate zurück.

Was bedeutet die aktuelle Inflation für die Altersvorsorge?

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„Die aktuell hohe Inflation wird noch mehrere Jahre anhalten.“ – damit rechnen in unseren Umfragen knapp 80 Prozent der Bürgerinnen und Bürger. Experten warnen, dass eine hartnäckige Inflationsmentalität mit zunehmenden Präferenzen zugunsten des aktuellen Konsums und zulasten der Zukunfts- und Altersvorsorge entstehen könnte. Davon ist jedoch in unseren Zahlen noch wenig zu erkennen. Zwar geben die Menschen an, sich finanziell einschränken zu müssen. Tatsächlich betrifft das aber vor allem den täglichen und langfristigen Konsum. Bei ihrer Zukunfts- und Altersvorsorge halten sie sich mit Einschnitten weitgehend zurück. Das ist klug und geboten. Denn inflationsbedingte Kaufkraftverluste treffen auch das „Alterskapital“ wie die Renten, das Ersparte, Lebensversicherungen, Immobilien. Rentenerhöhungen und Renditen kompensieren das nicht. Die Altersabsicherung geht also weiter mit Kaufkraftverlust einher. Will man diesen ausgleichen und seine geplante Kaufkraft im Alter erhalten, muss man seine Rücklagen erhöhen. Und, wenn irgend vermeidbar, nicht absenken, aussetzen oder gar auflösen.

Die Inflationsraten sinken wieder. Rentenproblem erledigt?

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Seit jeher verlassen sich die Menschen in Deutschland bei ihrer Altersabsicherung vor allem auf die gesetzliche Rentenversicherung. Diese beruht auf einem Umlageverfahren: Der arbeitende Teil der Bevölkerung finanziert gemeinsam mit den Arbeitgebern durch Beiträge in die Rentenkasse die Ruheständler. Das funktioniert gut, solange das Verhältnis zwischen Beitragszahlern und Rentenbeziehern im Gleichgewicht ist. Und das geht zunehmend verloren. Ab Mitte der 1950er Jahre, der Phase des deutschen Wirtschaftswunders, setzte bei uns ein Babyboom ein; die Geburtsjahrgänge wurden größer. Das war ab den 70er Jahren ganz prima, als nämlich diese Babyboomer den Arbeitsmarkt betraten und Rentenbeitragszahler wurden. Die Rentenkassen füllten sich, und wir konnten uns neben den Altersrenten allerhand zusätzliche Rentenwohltaten leisten. Allerdings: Der Babyboom ebbte bereits Mitte der 1960er Jahre mit dem „Pillenknick“ wieder ab, die Geburtsjahrgänge wurden kleiner. Hier liegt unser heutiges und zukünftiges Problem. Im aktuellen Jahrzehnt wechseln die Babyboomer von der Seite der Beitragszahler auf die Seite der Rentenempfänger. Und werden zudem aufgrund der steigenden Lebenserwartung immer älter. Immer mehr Rentner sollen von immer weniger Beitragszahlern alimentiert werden. Das kann schon rechnerisch nicht gutgehen. Das gesetzliche Umlageverfahren stößt an seine Grenzen. Das wissen wir seit Jahrzehnten, aber weder gab es ausreichende Reformen der gesetzlichen noch mutige politische Impulse zur Stärkung der privaten Renten.

Kann private Altersvorsorge das Risiko von Armut im Alter zu mildern?

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Sie geben zurecht das Stichwort „Altersarmut“. Nicht zuletzt aufgrund der Unsicherheiten der gesetzlichen Renten ist diese Angst in der Bevölkerung weit verbreitet. Sie wird regelmäßig von über 60 Prozent der Befragten geäußert. Andererseits zeigen unsere Befragungen über die Jahre hinweg deutlich, dass den Menschen die Notwendigkeit flankierender privater Absicherung bewusst ist. Top1- oder Top2-Favoriten privater Absicherung sind private Rentenversicherungen, selbstgenutzte Immobilien, aktienbasierte private Altersvorsorge.

Braucht man eine Altersvorsorgestrategie?

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Das wird fraglos immer wichtiger. Um seinen gewohnten Lebensstandard im Alter zu halten, sind persönliche Finanzplanung und eine Altersvorsorgestrategie notwendig. Das Ziel: Lebenslängliche Ausgaben sollen durch lebenslängliche Einnahmen gedeckt werden. Die Altersvorsorge des Einzelnen setzt sich aus mehreren Bausteinen zusammen, je nach den persönlichen Umständen mit unterschiedlichen Gewichten: gesetzliche Rente, betriebliche Altersvorsorge, private Altersvorsorge, Immobilie(n), Ersparnisse und auch künftige Mittelzuflüsse wie Lebensversicherungen oder Erbschaften. Das sollte man mal alles zusammen- und seine potentiellen Ausgaben gegenüberstellen. Dabei kommt es nicht auf den Cent an. Wer kann das Jahre oder gar Jahrzehnte im Voraus so genau sagen? Wenngleich nur als grobe Schätzung, führt die Übung aber vor Augen, ob sich eine Deckungslücke auftut. Wenn ja, muss man handeln.

Wie?

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Ich kann nur raten, sich nicht mehr ausschließlich auf den Staat zu verlassen, sondern seine Altersabsicherung selbst in die Hand zu nehmen und eine private Altersvorsorge aufzubauen. Früh damit anfangen, je früher, desto besser. Erfahrungen sammeln, flexibel sein. Am besten beginnt man direkt mit dem ersten Job damit, wenn auch die ersten gesetzlichen Rentenbeiträge fällig werden. Gerade in jungen Jahren können Sparprodukte mit Förderung und Zulagen seitens des Staates oder des Arbeitgebers sehr interessant sein. Denn Zulagen steigern die Rendite. Hier sollte man alle Möglichkeiten und Höchstbeträge ausschöpfen, etwa bei Vermögenswirksamen Leistungen, beim Bausparen, der betrieblichen Altersvorsorge oder der Basis/Rürup-Rente. Auch bestehende Riester-Verträge sollte man regelmäßig daraufhin prüfen, dass alle Fördermöglichkeiten ausgeschöpft sind.

Riester-Sparen war bereits totgesagt. Erlebt es ein Comeback?

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Riestern wird unterschätzt. Riestern kann es in der Ansparphase auf zweistellige Zulagenrenditen bringen und ist insbesondere für geringerverdienende Eltern mit Kindern sehr attraktiv. Allerdings hat es mit seiner rigorosen Bruttobeitrags- und Verrentungspflicht eine äußerst starre Konstruktion. Sie nahm den Anbietern in der langen Nullzinsphase faktisch jede Möglichkeit, die Sparbeiträge ihrer Kunden renditebringend etwa an den Aktienmärkten anzulegen. Damit sank die Akzeptanz bei Politik, Bevölkerung und Anbietern. Die Folge: Heute gibt es kaum noch klassische Riester-Rentenversicherungen im Markt. Das könnte sich in Zukunft ändern. Nicht nur, weil die Zinsen wieder steigen, sondern vor allem weil neue Reformvorschläge auf dem Tisch liegen. Sie wurden von einer von der Bundesregierung eingesetzten Fokusgruppe private Altersvorsorge eingebracht, die im Juli ihren Abschlussbericht vorlegte. Danach soll Riestern einfacher, kostengünstiger und renditeträchtiger werden. Die Zulagenförderung soll beibehalten werden, aber die bisherigen kompromisslosen Garantie- und Verrentungsvorgaben sollen Optionen weichen, Sparer also wählen können. Nicht zuletzt würde dadurch staatlich gefördertes Aktiensparen zur Altersvorsorge verstärkt möglich. Es ist zu wünschen, dass die Politik sich den Reformvorschlägen der Fokusgruppe anschließt und sie den Marathon durch die politischen und Gesetzgebungsverfahren unbeschadet überstehen. Dann könnte das Riester-Comeback sogar fulminant ausfallen.

Raten Sie zum Aktiensparen für die Altersvorsorge?

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Ja, zumal wenn staatlich gefördert. Je jünger, umso mehr. Denn je länger der Anlagehorizont, umso eher können kurzfristige Einbrüche an der Börse „ausgesessen“ werden. Ich rate zu einer Aktienstrategie, die gelassen ist: Kein hektisches Rein und Raus, sondern Aktiensparen mit langem Atem. Keine Einmalaktion, sondern Sparplan mit monatlichen – selbst kleinen – Beträgen. Und nicht einzelne Aktien, sondern der eigenen Risikoneigung angepasste Aktienfonds.

Das kann klappen, wenn man jung ist. Aber was können Ältere tun?

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Auch mit 50 Plus kann man mit privater Altersvorsorge noch richtig loslegen, auch dann liegen häufig noch zehn oder fünfzehn Jahre Ansparphase vor einem. Bei manchen geht’s dann überhaupt erst richtig los: Haus abbezahlt, Kinder aus dem Haus, das Einkommen erreicht oft seinen Höhepunkt, vielleicht stehen Erbschaften an. Natürlich ist es schön und richtig, sich auch mal etwas zu gönnen. Das darf aber nicht zulasten eines auskömmlichen Lebensabends gehen. Umso wichtiger ist eine gescheite persönliche Finanzplanung. Das Sparportfolio muss reifer werden. Man kann weiterhin aktienbasiert anlegen, sollte aber mehr Sicherheit beimischen.

Ihr Rat zum Schluss?

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Finanzielle Lebensplanung braucht Erfahrung und Expertise. Das muss man nicht alles selber aufbauen. Lassen Sie sich helfen. Das mag in einer Bankfiliale sein oder durch den Vermögensberater in der Nähe, der unabhängig von bankeigenen Produkten empfehlen kann. Wichtig: Nicht zögern, sondern machen!

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