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Der Weg zur Inklusion - Adipositas, Stigmatisierung und Sport

Interview mit Luisa Marie Wahl

Interview mit Luisa-Marie Wahl

Über Luisa-Marie Wahl:

Luisa-Marie Wahl ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Arbeitsbereich Sozialwissenschaften des Sports der Justus-Liebig-Universität Gießen und konzentriert sich in ihrer Forschung auf Bewertungsprozesse im Sportunterricht und Gewichtsstigmatisierung. Sie hat ihr Erstes Staatsexamen für das Lehramt an Gymnasien in den Fächern Deutsch und Sport im Dezember 2021 abgeschlossen. Sie setzt ihr Engagement für die Verbesserung der pädagogischen Praxis und das Verständnis der sozialen Dynamiken im Sportunterricht fort.

Inwiefern kann Stigmatisierung den Zugang zu Sport und Bewegung für Menschen mit Adipositas beeinträchtigen?

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Hierbei muss man meiner Meinung nach zwischen erlebten Diskriminierungserfahrungen einerseits und der Internalisierung solcher Erfahrungen auf Seiten der Betroffenen andererseits differenzieren. Auch wenn Stigmatisierungserfahrungen häufig sicherlich einen negativen Effekt auf das Sport- und Bewegungsverhalten des Individuums begünstigen, muss Fremdstigmatisierung nicht zwangsläufig zu Sportabstinenz oder diversen Vermeidungsstrategien im Kontext Sport und Bewegung führen. Anders verhält es sich bei Selbststigmatisierung, wenn das Individuum die negativen, gewichtsbezogenen Stereotype bereits verinnerlicht hat und Diskriminierungserfahrungen das negative Selbstbild zusätzlich verstärken. Viele übergewichtige Menschen ziehen sich dann, als negative Bewältigungsstrategie, aus sportiven Settings zurück. Das heißt aber nicht, dass sich übergewichtige Menschen dann überhaupt nicht mehr sportlich betätigen. Vielmehr tendieren sie dazu, soziale Kontexte, in denen mehrere Menschen zusammen Sporttreiben, zu meiden. Stattdessen trainieren sie häufig lieber allein, nur zu bestimmten Randzeiten oder an „geschützten“ Orten.

Welche Vorurteile oder Stereotypen begegnen Menschen mit Adipositas in Bezug auf ihre sportliche Leistungsfähigkeit?

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Die wohl am meisten verbreiteten Stereotype sind Faulheit, Langsamkeit sowie eine grundsätzlich geringere Leistungsbereitschaft und -fähigkeit. Dadurch werden adipöse Menschen von ihren Teammitgliedern häufig erst durch das Zeigen weit überdurchschnittlicher Leistungen in ihrer Sportlichkeit anerkannt. Schließlich möchten sich normalgewichtige Menschen nur sehr ungern mit der stereotypbehafteten sportlichen Leistungsfähigkeit adipöser Menschen identifizieren. Folglich besteht für adipöse Menschen tendenziell eher die Gefahr eines negativen, sich selbstverstärkenden Kreislaufs, indem jeder Fehler/ jedes Defizit implizit zur Manifestierung der bestehenden Stereotype beiträgt. Ein negativer Effekt auf das sportliche Selbstkonzept adipöser Menschen ist daher ebenfalls naheliegend.

Gibt es spezifische Wege, wie Sportwissenschaftler dazu beitragen können, die Stigmatisierung von Menschen mit Adipositas zu reduzieren?

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Das ist eine gute, wenn auch sehr schwierig zu beantwortende Frage, denn häufig weisen gerade sportaffine Menschen stärkere negative Stereotype gegenüber adipösen Menschen auf. Implizit nehmen sie dabei eine Abgrenzung zu Menschen vor, die sich nicht oder nicht in dem gleichen Maße über physische Fitness, Gesundheit und körperliches Aussehen identifizieren, wie sie selbst. Damit geht häufig unterbewusst eine Negativ-Bewertung übergewichtiger und adipöser Menschen einher, sodass Sportwissenschaftler meiner Meinung nach, insbesondere auf implizit vorherrschende Gewichtsstigmata, bei Menschen, die in den Bereichen Sport und Gesundheit tätig sind, aufmerksam machen sollten. Gleichzeitig wird sich nämlich gerade von diesen Personengruppen Hilfe im Umgang mit dem Krankheitsbild Adipositas zum einen und Gewichtsstigmatisierung zum anderen erhofft. Ansonsten gilt es wie immer zuerst Bereiche im Kontext Sport zu identifizieren, in denen Gewichtsstigmatisierung vorherrscht, entsprechende Einflussgrößen ausfindig zu machen und schließlich für die Problematik zu sensibilisieren und entsprechende Handlungsstrategien zu etablieren.

Wie können Sport- und Fitnessstudios inklusiver gestaltet werden, um Menschen mit Adipositas willkommen zu heißen?

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Ein wichtiger Schritt könnte zunächst die Anpassung von Trainingsgeräten an verschiedene Körperformen sein, z.B. durch breitere Sitzflächen. Eine weitere Überlegung, wäre die Einrichtung von „geschützten“ Räumen, in denen man nicht direkt den Blicken von anderen ausgesetzt ist. Zuletzt müssten insbesondere Fitnesstrainer für bestehende Gewichtsstigmata sensibilisiert und im Umgang mit adipösen Menschen geschult werden, denn wie bereits erwähnt, weisen insbesondere Menschen mit einer gewissen Sportaffinität stärkere, negative, wenn auch zumeist implizite Stereotype gegenüber übergewichtigen und adipösen Menschen auf. Die Folgen sind aber umso gravierender, wenn man sich seiner eigenen stigmatisierenden Einstellungen nicht bewusst ist. Auf Seiten der Trainer ist daher meiner Meinung nach ein Prozess des Bewusstwerdens, der Reflexion implizit aufrechterhaltener Stereotype erforderlich. Erst dann kann in Sport- und Fitnessstudios eine Kultur der Offenheit und Sensibilität gegenüber körperbezogener Diversität geschaffen werden. Dies kann räumlich zusätzlich durch das Aufhängen von Plakaten mit unterschiedlichen Körperformen im Sinne eines „Body Positive Role Modelings“ unterstützt werden.

Wie können Sportwissenschaftler helfen, das Selbstbewusstsein und die Motivation von Menschen mit Adipositas zu stärken?

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Sportwissenschaftler könnten zuerst untersuchen, unter welchen Bedingungen und Umfeldern übergewichtige und adipöse Menschen sich gerne bewegen und Sporttreiben. In einem zweiten Schritt könnten diese Erkenntnisse in konkrete Handlungsstrategien überführt werden, sodass diese anschließend in Kooperation mit den jeweiligen Sportanbietern in die jeweilige Struktur/ Konzeption von Sportvereinen und Fitnessstudios implementiert werden können. Außerdem ist es aus meiner Sicht wichtig, bereits Kinder für körperliche Diversität zu sensibilisieren und eine Kultur der Offenheit und Akzeptanz gegenüber unterschiedlichen Körperformen zu schaffen, was beispielsweise durch Aufklärungsveranstaltungen in Schulen und Kindergärten realisiert werden könnte. An diesem Punkt knüpft auch mein Dissertationsprojekt an, indem ich mich näher mit dem Einfluss von Adipositas auf Bewertungsprozesse im Schulunterricht auseinandersetze, da ich von Hause aus Lehrerin bin und mich für eine gerechte Notengebung einsetzen möchte.

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