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Heilung und Hoffnung: Die Rolle von Spiritualität und Medizin im Islam

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Interview mit Prof. Dr. Serdar Kurnaz

Über Prof. Dr. Serdar Kurnaz:

Ich habe in Frankfurt am Main an der Goethe-Uni Islamische Theologie, jüdisch-christliche Religionswissenschaften und Pädagogik studiert (2007-2011) sowie dort promoviert im Fach Islamische Studien (2015).

Von 2015 bis 2016 habe ich als Direktor am SChweizerischen Zentrum für Islam und Gesellschaft an der UNiversité de Fribourg (Schweiz) gearbeitet. Von 2016 bis 2019 habe ich als Juniorprofessor für Islamische Theologie an der Akademie der Weltreligionen der Universität Hamburg gearbeitet.

Im Wise 2019/20 war ich zunächst Gastprofessor am Berliner Institut für Islamische Theologie der Humboldt-Universität zu Berlin; im Junar 2020 wurde ich an demselben INstitut zum Professor für Islamisches Recht in Geschichte und Gegenwart ernannt. 2020 wurde ich an der Friedrich-Alexander-Universität Nürnberg-Erlangen im Fach "islamisch-religiöse Studien" habilitiert.

Zu meinen Forschungsschwerpunkten gehören der Koran und seine Exegese, Hadithwissenschaften, Islamisches Recht und Rechtsmethodik, islamische REchtsphilosophie, Islamische Ethik, Genese, Exegese und Hermeneutik der islamischen Quellen.

Welche Rolle spielt das Gebet und die Spiritualität in der Genesung von Krankheiten nach islamischer Auffassung?

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Nach der muslimischen Tradition hat der Koran eine heilende Kraft. So etwa ist es üblich, bei Krankheiten Sure 113 und 114 zu rezitieren, so auch Sure 1. Eine besondere Rolle kommt auch der Sure 26 (Yā-Sīn) zu, die sogar am Totenbett rezitiert wird, damit der Sterbende keine Schmerzen erleidet. Es wird berichtet, dass der Prophet dies empfohlen hat. Auch soll Gottesgedenken und Meditieren Krankheiten heilen. Klar ist aber, dass diese Maßnahmen medizinische Maßnahmen begleiten sollen. Bittgebete und Koranrezitationen können Medikamente (seien aus der Schulmedizin oder Naturheilkunde) nicht ersetzen.

Welche Verantwortung trägt eine Person im Islam für ihre eigene Gesundheit?

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Der Körper ist nach muslimischer Auffassung eine anvertrautes Gut Gottes an den Menschen. Daher trägt der Mensch eine Verantwortung, den Körper bestmöglich zu behandeln. Dazu gehört auch, dass man sich vor Krankheiten schützt, vorbeugende Maßnahmen trifft und im Falle von Krankheiten nach einer Heilung sucht. Es gibt zwar die Vorstellung, dass ein sündiges Leben zu Krankheiten führen kann oder Krankheiten als Möglichkeiten wahrgenommen werden, sich von Sünden reinzuwaschen, aber das sind überholte Vorstellungen. Fakt ist, dass muslimische Menschen genauso wie jeder andere nach Heilung suchen muss, wenn die Krankheit unheilbar ist, diese bis zum Ende erträgt. Ein vorzeitiges Beenden des Lebens ist untersagt.

Was sagt der Islam zu Themen wie Geistesgesundheit und psychischen Erkrankungen?

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Die Haltung gegenüber psychischen Erkrankungen ist abhängig vom Expertenwissen. Wissen wir heutzutage, wie psychische Erkrankungen behandelt werden, müssen wir uns nach diesen Maßnahmen richten. Mehrheitlich versteht man das tägliche Gebet und auch das Gottesgedenken bzw. die Spiritualität und damit Gottvertrauen als wichtige Stützen für die Geistesgesundheit, jedoch sind sie kein Garant dafür. Wie für die physische Genesung ist auch für die psychische Gesundheit Expertenwissen unabdingbar. Es gibt jedoch in vielen Kreisen immer noch die Vorstellung, dass Dämonenwesen ihr Unsinn treiben und Menschen psychisch belasten können. Daher kommen exotistische Maßnahmen immer wieder mal vor, ist aber stark kulturell und regionalabhängig.

Wie wird im Islam mit chronischen Krankheiten umgegangen?

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Grundsätzlich kann man innerhalb der islamischen Tradition sehen, dass chronischen Erkrankungen gegenüber eine Haltung eingenommen wird, dass diesen Menschen Erleichterungen ermöglicht werden, um ihrem religiösen Alltag bzw. ihrer religiösen Praxis gerecht zu werden. Es gelten für diese Personen oft Ausnahmeregelungen, sodass sie nicht von der ritualen und religiösen Praxis nicht ausgeschlossen, sondern ganz im Gegenteil ganz gewöhnlich daran partizipieren können.

Wie sehen islamische Lehren den Gebrauch von Medikamenten und Impfungen?

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Sofern keine Gefahren zu befürchten sind, dem der menschliche Körper oder die menschliche Psyche ausgesetzt ist, ist die Einnahme von Medikamenten und der Einsatz von Impfungen unproblematisch. Wichtig ist, dass man den Schaden und den Nutzen relativ genau bestimmen kann, der Nutzen gegenüber dem Schaden überwiegt. Problematisch sind oft Medikamente, die berauschend oder betäubend wirken; auch hier gilt die Devise, dass der maximale Nutzen für den:die Patient:in erzielt wird und keine wirksame Alternative besteht.

Wie stehen der Islam und seine Anhänger zu palliativer Pflege und Sterbehilfe?

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Zur palliativer Pflege stehen muslimische Gelehrte positiv gegenüber. Passive Sterbehilfe ist insofern geduldet als dass keine wirkliche Möglichkeit gibt, dass der:die Patient:in genesen wird und die Maßnahmen mehrfach zum Schaden führen. In diesen Fällen wird die passive Sterbehilfe akzeptiert. Problematisch dagegen ist die aktive Sterbehilfe. Grundsätzlich sind die muslimischen Gelehrten dagegen, weil es dem Suizid gleichkommt, was als große Sünde gilt.

Gibt es im Islam spezielle Richtlinien oder Empfehlungen für den Umgang mit älteren Menschen und ihren gesundheitlichen Bedürfnissen?

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Hierzu gibt es keine besonderen Richtlinien. Die muslimische Tradition sieht stets für alle Fürsorge und Barmherzigkeit vor. Die Expertise, die diesen Prinzipien gerecht wird, ist die Richtlinie, nach der sich die muslimische Tradition orientiert und sie auch mitprägt. Wichtig ist, dass jede:r die Möglichkeit hat, Maßnahmen in Anspruch zu nehmen, um gesund zu leben.

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