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Regenerative Zelltherapien zur Behandlung von Arthrose

knorpel aus nase

Interview mit Prof. Dr. Ivan Martin

Über Prof. Dr. Ivan Martin:

Prof. Dr. Ivan Martin ist ein weltweit renommierter Experte auf dem Gebiet der regenerativen Medizin und Gewebetechnik. Mit seiner wegweisenden Forschungen hat Prof. Martin maßgeblich dazu beigetragen Strategien zur Gewebereparatur und –regeneration voranzutreiben. Prof. Dr. Ivan Martin absolvierte sein Studium im Bereich Biomedizinisches Ingenieurwesen und erlangte im Jahr 1996 seinen Doktortitel. Im Anschluss daran war er von 1996 bis 1999 als Postdoktorand in Harvard tätig. Im Jahr 1999 trat er als Direktor der Forschungsgruppe für Gewebetechnik den Abteilungen für Chirurgie und Biomedizin an der Universität Basel bei. Im Jahr 2007 er zum Professor für Gewebetechnik ernannt. Prof. Martin spielte eine herausragende Rolle in der wissenschaftlichen Gemeinschaft. Von 2004 bis 2009 war er der erste Präsident des Europäischen Zweigs der Tissue Engineering Regenerative Medicine International Society (TERMIS).

Wie funktionieren regenerative Zell-basierte Strategien zur Behandlung von Gelenkverschleiß?

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Knorpeldefekte, die durch Unfälle oder Abnutzung entstehen führen häufig zu Schmerzen und Einschränkungen der Funktion des Gelenks. Da der Knorpel nicht durchblutet ist, hat er nur geringe Selbstheilungskräfte und wächst nicht wieder nach. Daher versucht man bei tiefgehenden Knorpeldefekten die Knorpelfläche wiederherzustellen, um den darunterliegenden Knochen zu schützen und der Entstehung einer Arthrose vorzubeugen. Kleine Defekte werden häufig mit einer Mikrofrakturierung behandelt. Bei dieser knochenmarksstimulierenden Technik wird der Knochen angebohrt, damit Knochenmarkszellen ins Gelenk strömen und bei der Bildung eines Reparaturknorpels helfen können. Allerdings ist dieser anders beschaffen und verfügt über schlechtere biomechanische Eigenschaften als der natürliche Gelenkknorpel. Bei den zellbasierten Therapien werden Knorpelbiopsien entnommen, die Knorpelzellen außerhalb des Körpers in speziellen Laboratorien isoliert, vermehrt und anschließend wieder in den Defekt eingebracht. Neuere Techniken bringen dabei die Zellen zuvor auf eine Membran auf, wodurch die chirurgische Implantation in den Knorpeldefekt erleichtert wird. Alternativ werden die Knorpelzellen in Form von kleinen Pellets (sogenannte Spheroide) verwendet, welche minimal-invasiv in den Defekt injiziert werden können um dort ein Reparaturgewebe aufbauen. Als Zellquelle werden in der Regel Gelenkknorpelzellen aus dem betroffenen Gelenk verwendet. Am Universitätsspital Basel verwenden wir Knorpelzellen aus dem Nasenseptum. Aus den vermehrten Zellen züchten wir anschliessend ein reifes Knorpelgewebe, das bereits die typischen Knorpelproteine enthält und eine höhere mechanische Stabilität aufweist. Dieses wird in den Defekt eingenäht, deckt den Knochen ab und kann so die Gelenkfläche wiederherstellen.

2. Was macht die Verwendung von Nasenchondrozyten im Vergleich zu anderen Zelltypen so attraktiv?

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Nasenknorpelzellen haben im Vergleich zu den typischerweise verwendeten Gelenkknorpelzellen viele Vorteile. Sie lassen sich im Labor einfacher vermehren und können ein qualitativ hochwertigeres Knorpelgewebe bilden. Das entstandene Gewebe zeigt zudem eine bessere Widerstandsfähigkeit in einer entzündlichen Umgebung, wie sie nach einer Operation vorherrscht. Die Eigenschaften der Nasenknorpelzellen sind ausserdem weniger vom Alter der Patienten abhängig als dies bei Gelenkknorpelzellen der Fall ist. Viele Produkte für die Knorpelreparatur sind für Patienten über 55 Jahren nicht mehr empfohlen. Dies ist vor allem dann ein Problem, wenn es um Arthrose geht, da die meisten Patienten älter sind. Ein weiterer Vorteil ist die einfache Gewinnung von Nasenknorpelzellen, die unter Lokalanästhesie entnommen werden können. Auch bei Patienten mit Arthrose können auf diese Weise gesunde Knorpelzellen gewonnen werden. Bei den Gelenkknorpelzellen besteht in diesem Fall die Gefahr, dass diese durch die Erkrankung bereits in Mitleidenschaft gezogen sein könnten und nicht mehr zur Knorpelzüchtung verwendet werden können. Zusammengefasst kann man sagen, dass Nasenknorpelzellen überlegene Eigenschaften im Labor besitzen, einen besseren Knorpel bilden und auch bei Erkrankungen des Gelenks aus einem gesunden Knorpelgewebe entnommen werden können. Einer klinischer Nachweis der Überlegenheit steht aber noch aus.

3. Welche Auswirkungen hatten die Knorpeltransplantate auf die entzündlichen Zustände, wie sie bei Arthrose auftreten?

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Im Tierversuch konnten wir nachweisen, dass Gewebe aus Nasenknorpelzellen eine anti inflammatorische (entzündungshemmende) Wirkung haben. Dies konnte anhand verschiedener Entzündungsfaktoren gezeigt werden, die nachliessen, wenn sie mit Gewebe aus Nasenknorpelzellen in Kontakt kamen. In dieser Studie konnten wir auch zeigen, dass die gezüchteten Gewebe einer entzündlichen Umgebung besser widerstehen können und nach Implantation zum Reparaturgewebe beitragen. Bisher wurde diese Technik bei drei Patienten mit medialer Arthrose angewandt. Diese Patienten hatten als Ursache u.a. ein O-Bein, so dass zusätzlich auch eine Achsbegradigung durchgeführt wurde. Es ist für eine Knorpeltherapie elementar, Ursachen mitzubehandeln, um ein gutes Ergebnis zu erzielen. Alle Patienten, die für eine Behandlung mit Knieprothese vorgesehen waren, haben noch ihr eigenes Knie bis zu 5 Jahre nach der Operation. Untersuchungen deuten darauf hin, dass Nasenknorpelzellen auch in einem arthrotischen Gelenk einen Reparaturknorpel bilden können. Weitere Patienten, die mit dieser Technik behandelt wurden, litten an Arthrose hinter der Kniescheibe (Patellofemoralarthrose). Diese Patienten wurden erst kürzlich transplantiert. Der Heilungsprozess verläuft bislang normal und die klinische Verbesserung beim ersten Patienten nach einem Jahr ist vielversprechend. Die direkten Auswirkungen auf die entzündlichen Zustände lassen sich nur schwer untersuchen, da sich die Entnahme von Gewebeproben zur Untersuchung dieser Faktoren, nachteilig auf die Heilung auswirken könnte. Daher kann nur indirekt anhand von radiologischen Aufnahmen, z.B. über die Breite des Gelenkspaltes, ein Rückschluss auf ein Fortschreiten oder ein Rückgang der Arthrose gezogen werden. Wichtig ist, dass diese Technik nicht bei chronischer entzündlicher Arthrose (Arthritis) anwendbar ist.

4. Gibt es potenzielle Risiken oder Nebenwirkungen bei dieser Art von Behandlung?

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Die Risiken sind im Vergleich zur Standardtherapie nicht erhöht und entsprechen den normalen Risiken, die jeder operative Eingriff mit sich bringt. Wir haben bisher in über 100 Patienten, die für fokale Defekte behandelt wurden, keine schwerwiegenden Nebenwirkungen festgestellt. Die Nasenbiopsie ist in der Regel völlig problemlos und führt auch nicht zu Veränderungen der Funktionalität oder des Aussehens der Nase. Nach Implantation im Kniegelenk kann es, wie bei anderen Techniken auch, zu einer Delamination (Ablösung) des implantierten Gewebes kommen. In diesem Fall wär eventuell eine erneute chirurgische Behandlung erforderlich.

5. Wie könnte diese Therapie die Notwendigkeit von Gelenkersatzoperationen reduzieren?

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Wir hoffen mit dieser Therapie vor allem den Patienten eine Lösung anbieten zu können, für die eine herkömmliche Schmerztherapie nicht mehr ausreichend ist, die aber noch zu jung für eine Prothese sind oder diese aus anderen Gründen ablehnen. Durch den Einsatz des gezüchteten Knorpels wollen wir versuche, die Gelenkersatzoperation zumindest etliche Jahre zu verzögern oder sogar ganz zu vermeiden. Allerdings liegen bei Arthrose häufig mehrere Ursachen vor (Bandinstabilitäten, Meniskusprobleme, ungerade Beinachsen, etc.), die ebenfalls behandelt werden müssen. Dies ist teilweise durch Standardtechniken möglich, teilweise sind die Ursachen klinisch auch nur schwer zu beheben (z.B. fehlender Meniskus).

6. Wie kann ich an dieser Therapie teilnehmen?

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Wir planen eine Studie zur Kniescheibenarthrose (Patellofemoralarthrose oder Retropatellararthrose) Ende 2023. Patienten, die teilnehmen möchten, müssen zwischen 18 und 65 Jahren sein und an Arthrose hinter der Kniescheibe leiden. Ausschlusskriterien sind alle anderen Arthrosen (seitlich am Knie (medial/lateral)) sowie Meniskusprobleme, die zu Schmerzen führen. Weitere Informationen finden sie unter: https://biomedizin.unibas.ch/en/research/research-groups/martin-lab/knorpelregeneration/

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