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Mathematik in der Medizin

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Interview mit Prof. Dr. Christian Hesse

Über Prof. Dr. Christian Hesse:

Christian Hesse studierte anfangs Medizin, dann Mathematik und ist einer der bekanntesten Mathematiker Deutschlands. Er promovierte an der Harvard Universität und lehrte an der Universität Berkeley (beide USA). Im Jahr 1991 trat er als jüngster Professor der Bundesrepublik eine Professur für Mathematische Statistik an der Universität Stuttgart an. Hesse beriet das Bundesverfassungsgericht bei dessen 2012er Wahlrechtsurteil sowie den Deutschen Bundestag und die US Regierung bei daten-analytischen Fragen.

Kann Mathematik als universelle Sprache betrachtet werden, die uns helfen kann, das Wesen von Leben und Krankheit auf einer fundamentalen Ebene zu verstehen?

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Teils, teils. Das Wesen von Leben zu verstehen ist eine Bemühung, die man vielleicht lieber Expertinnen und Experten aus der philosophischen Zunft überlassen sollte. Aber das Verständnis des Wesens von Krankheiten kann durch die Konstruktion mathematischer Modelle für bio-chemische und bio-physikalische Abläufe verstanden werden und damit auch die Störungen, die Krankheiten in diesen Abläufen hervorrufen können.

Können Sie uns die mathematischen Grundlagen und Prinzipien hinter der Entwicklung von neuronalen Netzwerken erläutern?

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In einem neuronalen Netz ahmen Knotenpunkte nebst Verbindungslinien mittels Algorithmen die Nervenzellen im menschlichen Gehirn nach. Die Verbindungslinien sind mit Zahlenwerten, den sogenannten Parametern versehen. Ein neuronales Netz besteht aus verschiedenen Schichten von Knotenpunkten, neben Eingabe- und Ausgabe-Schicht sind es meist zahlreiche innere Schichten. Die Daten werden von der Eingabeschicht aufgenommen, mit Hilfe der Parameter verarbeitet und an die inneren Schichten weitergeleitet, bis am Ende ein Output herauskommt. Bei den Eingabedaten kann es sich um Zahlen, Bilder, Töne und vieles mehr handeln. Wenn es sich bei den Eingabedaten etwa um Fotos von Hautauffälligkeiten handelt, kann der Output darin bestehen, ob diese „gutartig“ oder „bösartig“ sind. Um diese Einteilung möglichst fehlerfrei vorzunehmen, muss das neuronale Netz anhand eines Trainingsdatensatzes von gutartigen und bösartigen Hautveränderungen trainiert werden. Dies bedeutet, dass mit mathematischen Methoden die Parameter des Netzes schrittweise so verändert werden, bis sich für jedes Trainingsfoto die richtige Klassifizierung ergibt. Anschließend kann man dem neuronalen Netz mit diesen Parameterwerten dann auch Fotos unbekannter Hautauffälligkeiten zur Klassifikation vorlegen.

Welche zukünftigen Entwicklungen sehen Sie in Bezug auf die Anwendung von Mathematik in der Medizin und welche Auswirkungen könnten sie haben?

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Die zukünftigen Entwicklungen werden ganz sicher in Richtung einer personalisierten Medizin gehen. Big Data und deren mathematische Analyse wird dabei helfen, jeden Patienten gezielt und hochgradig individualisiert zu behandeln. Man braucht dafür einen hochdifferenzierten Datenpool des Patienten, der Informationen über Symptome sowie über Geschlecht, Alter, allerlei Laborwerte, genetische Informationen etc. Sagen wir, es ist ein Datenprofil von rund 1000 Datenpunkten. Dann wird die Künstliche Intelligenz eine Therapie vorschlagen, die haargenau zum Symptomspektrum und zum Datenprofil passt.

Wie kann die mathematische Modellierung dazu beitragen, Krankheitsverläufe und deren Behandlung besser zu verstehen?

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Die Diagnose einer Krankheit ist vergleichbar mit der Erzeugung einer Theorie, die zu den Symptomen und dem Laborprofil passt. Der personalisierte Ansatz, der wie skizziert über ein umfangreiches Datenprofil führt, erfordert es genau genommen nicht zu ermitteln, an welcher Krankheit die zu behandelnde Person leidet. Wichtig ist allein in einer möglichst umfangreichen Patienten-Datenbank Fälle mit vergleichbarer Symptomatik und ähnlichem Datenprofil zu finden. In der Sprache der Mathematik sind das „Nächste Nachbarn“. Dann ermittelt die Künstliche Intelligenz, welche Medikation in welcher Dosierung über welchen Zeitraum am besten zu einer Linderung der Symptomatik bei der Mehrheit der Nächsten Nachbarn geführt hat. Dies kann der behandelnde Arzt als sehr wertvolle Information zur Orientierung verwenden.

Wie können wir sicherstellen, dass mathematische Modelle und Algorithmen in der Medizin transparent und nachvollziehbar sind, um Vertrauen bei Ärzten und Patienten aufzubauen?

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Um Kranken kompetent zu helfen, muss man nicht mehr wissen, an welchen Krankheiten sie leiden, welche Wirkungen diese Krankhaufen auf bestimmte biochemische Abläufe ausüben, welche Störungen diese Wirkungen verursachen, welche Symptome aus diesen Störungen resultieren. Und das ist gut so. Denn dieser klassische Weg von der Diagnose zur Therapie ist ein detailreicher, ungemein vielschrittiger und enorm fehleranfälliger Ablauf. Der zuvor beschriebene Ansatz vom Datenprofil über Nächste Nachbarn zur besten Therapie ist mindestens genauso transparent und nachvollziehbar, da die künstliche Intelligenz nicht personenunabhängig irgendeine Therapie zusammenstellt, sondern sich auf die Suche nach einer Therapie begibt, die bei einer größtmöglichen Zahl von Nächsten Nachbarn des Patienten, die also medizinisch in praktisch derselben Lage sind, zu einer Verbesserung der Symptomatik geführt hat. Es versteht sich von selbst, dass diese Vorgehensweise der Orientierung an Vergleichsfällen viel sinnvoller ist.

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