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Die Herausforderungen kleiner Krankenhäuser

Profilbild von Dr. med. Danny  Jazmati Geschrieben von Dr. med. Danny Jazmati
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Interview mit Prof. Dr. Steffen Fleßa

Über Prof. Dr. Steffen Fleßa:

Prof. Dr. Steffen Fleßa ist ein renommierter Wissenschaftler und Experte auf dem Gebiet des Gesundheitsmanagement. Derzeit ist er Leiter des Fachbereichs Gesundheitsmanagement an der Universität Greifswald in Deutschland.

Mit einer fundierten Ausbildung in Betriebswirtschaftslehre und einem speziellen Schwerpunkt im Gesundheitsmanagement bringt Prof. Fleßa umfangreiches Wissen und Erfahrung in seine Position ein. Im Laufe seiner Karriere verbrachte Prof. Fleßa fünf Jahre in Tansania, wo er als Dozent für Betriebswirtschaftslehre tätig war und wertvolle praktische Erfahrungen auf dem Gebiet sammelte.

Anschließend erweiterte er sein Fachwissen, indem er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Lehrstuhl für Operations Research und in der Forschungsgruppe Medizinökonomie an der Universität Erlangen-Nürnberg tätig war. Seit Dezember 2004 ist Prof. Fleßa Inhaber einer Professur für Gesundheitsmanagement an der Universität Greifswald. Im Laufe seiner Tätigkeit übernahm er auch verschiedene administrative Positionen, darunter Studiendekan und Prodekan der Fakultät für Rechts- und Staatswissenschaften.

Von 2016 bis 2021 bekleidete er die angesehene Position des Prorektors an der Universität und trug so maßgeblich zur akademischen Leitung bei. Die Forschungsinteressen von Prof. Fleßa konzentrieren sich in erster Linie auf quantitative Modellierung, Gesundheitsmanagement und Non-Profit-Management.

Seine Arbeit umfasst sowohl das deutsche Gesundheitssystem als auch ressourcenarme Umgebungen und spiegelt sein Engagement für die Verbesserung des Gesundheitswesens im globalen Maßstab wider.

Sind kleine Krankenhäuser möglicherweise anfälliger für Qualitätsprobleme in der medizinischen Versorgung?

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Deutsche Krankenhäuser sind im internationalen Vergleich hervorragend ausgestattet und verfügen über sehr gut ausgebildetes und motiviertes Personal. Trotzdem gibt es Probleme in kleineren Häusern, da die Qualität einer Leistung mit der Übung zusammenhängt. Kleine Krankenhäuser haben geringe Fallzahlen und deshalb auch geringere Übung. Das macht überhaupt nichts bei den meisten Prozeduren, aber wenn unvorhergesehene Komplikationen auftreten, wird es schwierig. Es gibt sehr gute Publikationen, die nachweisen, dass beispielsweise die Mütter- und Kindersterblichkeit erheblich steigt, wenn ein Krankenhaus weniger als 1000 Geburten pro Jahr hat. Eine „normale“ Geburt kann von einer Hebamme beherrscht werden, und zwar auch dann, wenn sie nur eine Geburt pro Woche hat. Aber wenn eine seltene Komplikation auftritt, ist es bei geringer Fallzahl einfach zu lange her, dass man diesen Fall mal hatte. Dann fehlt die Routine, die Übung. Und das führt zu Qualitätsproblemen. Zur Illustration: Wenn man 365 Tage im Jahr für 24 Stunden den Kreissaal besetzen möchte, benötigt man mindestens fünf Hebammen. Wenn ein Krankenhaus beispielsweise 260 Geburten pro Jahr betreut, sind dies fünf Geburten pro Woche oder eine Geburt pro Hebamme pro Woche. Deshalb ist die Antwort auf obige Frage zweigeteilt: Nein, es liegt kein generelles Qualitätsproblem vor. Unsere kleineren Krankenhäuser leisten hervorragende Qualität in den Bereichen, für die sie eigentlich gedacht sind und wo sie ausreichend Fallzahlen und damit Übung haben (Grund- und Regelversorgung). Ja, es liegt ein Qualitätsproblem vor. Und zwar dort, wo kleinere Krankenhäuser zu geringe Fallzahlen haben und insbesondere wenn sie Leistungen anbieten, für die sie eigentlich nicht gedacht sind.

Glauben Sie, dass Klinikfusionen zur Verbesserung der Effizienz und Qualität der medizinischen Versorgung beitragen können?

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Die Fusionen per se ist ja nur ein Rechtsakt. Aus zwei Rechtskörpern wird einer, wobei mindestens eine Einheit ihre wirtschaftliche und rechtliche Selbständigkeit aufgibt. Davon wird allein nichts besser. Zum Spaß hört man manchmal den Satz: „Man lege zwei Kranke ins selbe Bett, dann kommt eine Gesunder raus!“. Aber das stimmt nicht für Fusionen. Gesunden können Krankenhäuser nur, wenn sie eng kooperieren. Wenn sie sich das Leistungsspektrum aufteilen und dadurch jeweils höhere Fallzahlen haben. Wenn sie das Personal, das Management, die Verwaltung, das Labor, die Bildgebung etc. teilen. Dann können Kosten sinken und Qualität steigen. Effizienz und Qualität sind keine Automatismen, sondern erfordern mutige Managemententscheidungen. Das kann durch eine Fusion erleichtert werden, geht aber auch in einem Konzern (Beibehaltung der rechtlichen Selbständigkeit bei wirtschaftlicher Abhängigkeit) oder gar über Kooperationsverträge.

Wie könnten kleine Krankenhäuser von technologischen Fortschritten profitieren, um ihre Leistung zu verbessern?

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Im Prinzip können kleinere Krankenhäuser am technischen Fortschritt teilhaben wie alle anderen Häuser. Sie können Investitionsmittel (duale Finanzierung) und NUBs (Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden) beantragen sowie Forschungsgelder akquirieren. Das grundlegende Problem ist, dass die meisten innovativen Technologien Fixkosten implizieren, so dass sie sich nur rentieren, wenn eine gewisse Fallzahl erreicht wird. Kleinere Häuser haben damit tendenziell schon einen Nachteil in der Umsetzung innovativer Technologien. Aber das ist per se auch nicht schlimm. Es gibt unglaublich viel zu tun, was auch mit State-of-the-Art-Technologie hervorragend gemacht werden kann. Schwierig wird es dann, wenn kleinere Häuser im derzeitigen Finanzierungssystem nur überleben können, wenn sie Leistungen anbieten, die zu ihrer Versorgungsstufe gar nicht passen. Das derzeitige Finanzierungssystem gibt Anreize für Hochtechnologie. Auch an Standorten, wo das irrational ist.

Viele haben große Ängste vor den Auswirkungen der Schließung kleiner Krankenhäuser auf die Gesundheitsversorgung in ländlichen Gemeinden. Wie beurteilen Sie dieses Risiko langfristig?

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Hier unterscheiden sich die Situationen in den Bundesländern erheblich. Während in einigen westlichen Bundesländer die Dichte von Krankenhäusern sehr hoch ist, sind in einigen östlichen Bundesländern schon heute vergleichsweise große Distanzen zum nächsten Krankenhaus zurückzulegen. In Bayern, Baden-Württemberg und Nordrheinwestfalen werden kleinere Häuser schließen. Entweder durch eine geplante Reform, oder sie werden einfach insolvent gehen. Aber die zusätzlichen Distanzen, die auf die Bevölkerung zukommen, werden nicht dramatisch sein. Es ist immer angenehm, wohnortnah versorgt zu werden. Aber vor allem ist es doch wichtig, wieder gesund zu werden. Wenn man statt 20 Minuten nun 25 Minuten zum nächsten Krankenhaus fahren muss, dort aber deutlich besser versorgt wird, dann ist es das doch wert! Anders sieht die Situation in Mecklenburg-Vorpommern oder Brandenburg aus. Dort haben wir schon heute häufig Anreisedistanzen von über 30 Minuten zum nächstgelegenen Krankenhaus. Wenn dieses geschlossen wird, dann fährt man vielleicht 45 Minuten oder länger. Das kann dann tatsächlich auch medizinisch problematisch sein. Und natürlich gibt es auch in westlichen Bundesländern Kreise, wo man sehr genau hinschauen muss, ob eine Krankenhausschließung möglich ist. Deshalb sollte die Krankenhausplanung proaktiv die Standorte bewerten. Wir sollten es nicht dem Markt oder Zufall überlassen, welche Häuser überleben, sondern systematisch planen. Unser Grundgesetz garantiert gleichwertige Lebensverhältnisse – das sollten wir umsetzen.

Welche spezifischen Herausforderungen stellen sich kleinen Krankenhäusern in ländlichen Regionen im Vergleich zu Einrichtungen in Ballungsgebieten?

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Wie oben beschrieben, ist das zentrale Problem die Fallzahl. Ländliche Regionen sind dünn besiedelt und haben damit ceteris paribus geringere Einzugsbevölkerung. Dies führt zu höheren Fallkosten, höherer Auslastungsstreuung, geringere Qualität. Darüber hinaus gibt es aber noch ein ganz, ganz großes Problem: das Personal. Im Gesundheitswesen benötigen wir viele Fachpersonen, insb. Ärztinnen und Ärzte, Pflegende, Managerinnen und Manager, EDV-Fachleute etc. Krankenhäuser im ländlichen Raum haben noch mal größere Schwierigkeiten, diese Profis zu gewinnen, als Einrichtungen in den Ballungsgebieten. Manchmal ist es so, dass der Angeworbene überzeugt ist, aber dann findet sich im ländlichen, strukturschwachen Raum kein passender Arbeitsplatz für den Partner und/oder keine passende Schule für die Kinder. Dieses Problem lässt sich nur angehen, wenn kleinere Krankenhäuser eng mit ihren Kreisen und Städten kooperieren. Die Landräte und Bürgermeister müssen Verantwortung übernehmen für ihre Einrichtungen – und dazu gehört auch eine bewusste Unterstützung der Anwerbung von Personal.

Welche langfristigen Veränderungen erwarten Sie in Bezug auf die Rolle kleiner Krankenhäuser in Deutschland?

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Die Grenze zwischen ambulant und stationär muss endlich fallen. Und zwar in beiden Richtungen. Vertragsärzte und Pflegedienste müssen im Krankenhaus viel mehr als heute stationäre Fälle betreuen. Und das Krankenhaus muss seine Dienste für ambulante Patienten anbieten. Letztlich identifiziert sich ein Krankenhaus bis heute über das Bett: je mehr Betten, desto besser! Wir müssen uns aber über unsere Funktion identifizieren. Über die Dienstleistungen, Geräte, Patientenführung. Und dann spielt es gar keine Rolle mehr, ob das Krankenhaus viele, wenige oder gar keine Betten mehr hat. In anderen Ländern haben kleinere Häuser nur noch eine kleine Intensivstation. Für Patienten, die täglich behandelt werden müssen, siedeln sich Patientenhotels in der Umgebung an. Der Blick über den deutschen Zaun ist lässt erahnen, dass auf der untersten Versorgungsebene bald gar nicht mehr von Krankenhäusern gesprochen werden wird, sondern von integrierten oder regionalen Gesundheitszentren. Es geht um Gesundheit – nicht um Betten. Die Perspektive muss der Patient sein, der möglichst gut behandelt werden möchte. Ob das ambulant oder stationär ist, ist für ihn nicht die zentrale Frage. Ob das über DRGs oder EBM abgerechnet wird, ist ihm egal. Ob es über eine kassenärztliche Vereinigung oder einen direkten Kontakt zur Krankenkasse läuft, ist für ihn irrelevant. All die genannten Institutionen sind nur Vehikel, um das Ziel der Patientenversorgung und der Gesundheit zu erreichen. Das Ziel wird bleiben – das Vehikel wird sich wandeln. Und es gibt in Deutschland schon eine Reihe von Innovationen, die in diese Richtung weißen. Sie müssen nun die politische Unterstützung bekommen, um zu wachsen.

Letzte Änderung: 25. September 2023

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