Über Dr Wolfgang Fiedler:
Dr. Wolfgang Fiedler (geb. 1966) ist Diplom-Biologe und als Wissenschaftler und Gruppenleiter am Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie tätig, wo er auch die dortige Zentrale für Tiermarkierungen „Vogelwarte Radolfzell“ leitet. Sein Interessensschwerpunkt liegt im Bereich des Vogelzuges und dessen Konsequenzen – sowohl für den ziehenden Vogel als auch für die Umwelt. Zum Effekt von Vogelwanderungen auf die Umwelt zählen auch Ausbreitungen von Kleintieren, Pflanzen und eben Pathogenen durch wandernde Vögel.
Wie wird die Vogelgrippe übertragen und welche Vogelarten sind am stärksten betroffen?
Die Vogelgrippe-Viren werden wie die humanen Influenzaviren über Schleimhäute bzw. Körperflüssigkeiten übertragen. Ein anderer Vogel kann infiziert werden, wenn Viren über Tröpfchennebel, über kotbelastetes Wasser, bei sehr engem Körperkontakt oder auch beim Verzehr eines Kadavers an seine Schleimhäute, v.a. im Mund und Rachenbereich, geraten. Die klassische Vogelgrippe ist eine weitgehend harmlose und weit verbreitete Krankheit, die in erster Linie bei Wasservögeln (u.a. Enten, Schwänen und Möwen) zu finden ist. Die Erkrankungen fallen normalerweise nicht auf und verlaufen offensichtlich sehr mild und unauffällig. Sofern diese niedrig pathogenen Erreger (Low Pathogenic Avian Influenza, LPAI) allerdings zu hoch pathogenen Erregern (High Pathogenic Avian Influenza, HPAI) mutieren - es gibt starke Vermutungen, dass dies in Geflügel-Massenhaltungen passiert -, entsteht eine gefährliche Krankheitsform, die im deutschsprachigen Raum auch als Geflügelpest bezeichnet wird. Daran sterben vor allem Hühnervögel (Haushuhn, Pute usw.), bei besonders aggressiven Erregern aber auch Enten, Gänse, Schwäne, Möwen sowie aasfressende Vögel und in geringerem Umfang zahlreiche weitere Arten, ausnahmsweise sogar Singvögel.
Können Menschen die Vogelgrippe bekommen?
Das Vogelgrippevirus tritt in zahlreichen Subtypen auf, von denen einzelne gezeigt haben, dass sie auch Menschen befallen können. In aller Regel sind dazu aber sehr enge Kontakte zwischen erkrankten Vögeln und Menschen notwendig (z.B. das Ausnehmen geschlachteter infizierter Hühner unter mangelhaften Hygienebedingungen, der Rohverzehr von Teilen erkrankter Vögel usw.).
Was kann man machen, um sich vor der Vogelgrippe zu schützen?
Der Eigenschutz sieht aus wie bei anderen Influenzaviren und generell Viren, die über Aerosole und Flüssigkeiten übertragen werden: je nach Art der Exposition FFP2-Maske, Schutzhandschuhe, Schutzkleidung, Kleidungswechsel, Duschen, Handdesinfektion. Dies wären beispielsweise Maßnahmen, die beim Betreten infizierter Geflügelställe oder beim Aufsammeln oder Untersuchen infizierter Kadaver zu beachten wären. Der normale Aufenthalt in der Natur erfordert auch in Gebieten mit Geflügelpestausbrüchen keine besonderen Schutzvorkehrungen zum Eigenschutz. Geflügelprodukte sollten gut durchgegart werden, dies zerstört das Virus zuverlässig. Nach der Verarbeitung von rohem Geflügelfleisch sind gründliches Händewaschen und die übrigen basalen Hygieneregeln in der Fleischverarbeitung wichtig. Ebenso wichtig wie der Eigenschutz ist allerdings auch die Vermeidung der Verschleppung von Geflügelpestviren aus der Natur in Geflügelhaltungen und umgekehrt. Hier müssen vor allem Verschleppungen durch verschmutzte Gerätschaften, Stiefel, Fahrzeuge, Kleidung, Behälter usw. durch gründliche Reinigung, Schuh- und Kleidungswechsel vermieden werden.
Wie hat sich das Virus über die Jahre hinweg entwickelt?
Die niedrig pathogenen Varianten gehören offensichtlich zur Biologie von Wasservögeln dazu und sind im Grunde immer nachweisbar, wenn man danach sucht. Die Fälle, in denen daraus hoch pathogene Virenformen (Geflügelpesterreger) entstehen, haben in den letzten Jahrzehnten zugenommen. Der erste Fall wurde aber schon 1967 in Südafrika beschrieben. Seit 2005 werden regelmäßig auch Fälle bekannt, wo solche hoch pathogenen Erreger zu Sterblichkeit nicht nur in Geflügelhaltungen, sondern auch unter Wildvögeln führen. In Mitteleuropa war bis vor wenigen Jahren im Spätherbst mit dem Einzug von hoch pathogenen Varianten aus dem Osten und Nordosten (Sibirien, China) zu rechnen, die nahezu jeden Winter an verschiedenen Stellen Europas zu Ausbrüchen in Geflügel- und Wildvogelbeständen geführt haben. Im Spätwinter und zeitigen Frühjahr klang das Geschehen in der Regel wieder ab. Nachweise von HPAI im Sommer waren in Europa ganz außergewöhnliche Ereignisse. Seit Anfang der 2020er Jahre kam es allerdings dann den ganzen Sommer über zu HPAI-Ausbrüchen an der Nord- und Ostseeküste und seither haben wir in drei Sommern in Folge kein Abklingen der Geflügelpest im Freiland erlebt, sondern im Gegenteil für Wildvogelverhältnisse sehr heftige Ausbrüche in Vogelkolonien an Nord- und Ostsee gesehen. Im laufenden Jahr sehen wir solche sommerlichen Ausbrüche auch in Möwen- und Seeschwalbenkolonien im Binnenland bis ins Alpenvorland.
Was sind die langfristigen Auswirkungen der Vogelgrippe auf die Vogelpopulation?
Das wissen wir noch nicht. Bisher sind keine Fälle bekannt geworden, in denen durch Geflügelpest Wildvögel lokal ausgestorben oder im Bestand massiv zurückgegangen wären. Die Auswirkungen der großen Verluste in Brutkolonien von Seeschwalben oder den Basstölpeln auf Helgoland im Jahr 2022 und 2023 werden wir aber erst in den kommenden Jahren sehen. Bei solchen langlebigen Arten schlägt sich der übermäßige Verlust von brütenden Alttieren leider relativ schnell in Bestandseinbrüchen nieder.
Gibt es bestimmte Regionen, in denen die Vogelgrippe häufiger auftritt?
Generell eher da, wo es Wasser in der Landschaft gibt, da die Wasservögel offenbar eine Schlüsselrolle spielen. Bis Ende der 2010er Jahre hielt sich die Geflügelpest regelmäßig nur in Sibirien und in Südostasien das ganze Jahr hindurch (d.h., war dort endemisch geworden) und trat von dort jeden Herbst seine Ausbreitung nach Westen bis Europa an. Inzwischen müssen wir wohl davon ausgehen, dass das Virus auch in Teilen Mitteleuropas endemisch wurde.
Wie wirksam sind die aktuellen Maßnahmen zur Eindämmung der Vogelgrippe?
Das ist schwer zu quantifizieren, wir sehen ja in erster Linie die Fälle, wo die Maßnahmen nicht funktioniert haben und es zu einem Ausbruch kommt. Wie oft ein Ausbruch verhindert wird, lässt sich kaum messen. Bei Ausbrüchen aggressiver, hoch pathogener Formen der Geflügelpest im Freiland gibt es wenig, was man tun kann. Das rasche Absammeln von Kadavern bewirkt wenigstens in gewissem Rahmen, dass sich keine Aasfresser anstecken (Krähen, Möwen, Greifvögel, Störche usw.) und generell z.B. in Vogelkolonien die Ansteckungswahrscheinlichkeit sinkt. Am wichtigsten sind alle Maßnahmen, die die Verschleppung von Viren in Geflügelhaltungen und – noch wichtiger – aus Geflügelhaltungen heraus ins Freiland vermeiden. Da die hoch pathogenen Formen wohl überwiegend dort entstehen, wo sehr viel genetisch sehr ähnliches Geflügel auf engem Raum beisammen ist, muss am Anfang jedes sich ausbreitenden Geflügelpestgeschehens ein unachtsames Entweichenlassen der hoch pathogenen Erreger aus einer Geflügelhaltung stehen. Hier wäre die sicherste Maßnahme eine Änderung der derzeitigen Massengeflügelhaltung, ganz abgesehen von Tierschutzaspekten auch deswegen, weil eine vollkommen zuverlässige Abschottung gegenüber dem Freiland und anderen Geflügelhaltungen ja offensichtlich nicht zuverlässig funktioniert. Aus evolutionsbiologischer Sicht anzuzweifeln ist auch die Wirksamkeit der Massenkeulungen, d.h. der sofortigen Tötung großer Geflügelbestände, wenn es zu einem Geflügelpestausbruch kommt. Es ist unmöglich, das sich bei einer solchen Vorgehensweise jemals Resistenzen bilden, d.h. Individuen, die einen weniger schweren Krankheitsverlauf hatten, werden ebenso getötet wie alle anderen. Vermehrt wurde in jüngerer Zeit in Zoos und wertvollen Vogelbeständen bei HPAI-Ausbrüchen auf die Tötung der Vögel verzichtet und die Seuche wurde „durchlaufen“ gelassen. Dabei sind natürlich etliche Individuen gestorben, aber einige eben auch nicht und diese resistenten Vögel sind nun robust gegenüber künftigen Infektionsgefahren.
Können Haustiere wie Hunde und Katzen die Vogelgrippe bekommen?
Einige (wenige) der HPAI-Subtypen können auch Hunde und Katzen, auch Marderartige und Robben befallen, wie wir derzeit sehen. Allerdings scheiden die erkrankten Tiere zumeist nicht ausreichend große Virusmengen aus, um ihrerseits andere Säugetiere einschließlich des Menschen infizieren zu können. Allerdings zeigen sich alle Influenzaviren und daher auch die Vogelgrippeviren extrem wandlungs- und anpassungsfähig und Vorsicht und Wachsamkeit gegenüber entsprechenden Entwicklungen bei den Virentypen sind sicher angebracht.
Letzte Änderung: 25. September 2023
Unsere Artikel sollen Ihnen einen ersten Eindruck von einem medizinischen Thema
vermitteln. Sie ersetzen keine ärztliche Untersuchung und Beratung.
Wir übernehmen keine Gewähr für die inhaltliche Richtigkeit und Vollständigkeit der Darstellung.
Copyright © 2022, Medisiegel. All rights reserved.