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Neue Trends in der Alzheimer Diagnostik

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Geschrieben von
Dr. (Ing.) Can Dincer

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Interview mit Dr. (Ing.) Can Dincer

Über Dr. (Ing.) Can Dincer:

Can Dincer ist ein international führender Wissenschaftler auf dem Gebiet der Mikrosystemtechnik. Mit über 45 Veröffentlichungen und 4 Patenten ist seine Forschungsgruppe führend in der Entwicklung innovativer bioanalytischer Materialien, Sensoren und Mikrosystemen und deren Kombination mit Datenwissenschaft und künstliche Intelligenz für Diagnostik sowie für die Lebensmittel- und Umweltüberwachung. Seine Leistungen wurden mit zahlreichen Auszeichnungen gewürdigt, darunter der renommierte Adolf-Martens-Preis. Er ist ein Pionier auf dem Gebiet der CRISPR-Diagnostik und tragbare Atemgassensoren, und seine Arbeit hat das Potenzial, die patientennahe Diagnostik zu revolutionieren.

Welches Potenzial sehen Sie in der Diagnostik und Überwachung einer Alzheimer Erkrankung?

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Im Moment stehen wir noch ganz am Anfang. Eines der größten Probleme in der Alzheimer-Diagnostik ist, dass die Krankheit oft erst sehr spät diagnostiziert wird, vor allem dann, wenn bereits Symptome aufgetreten sind. In der Medizin sucht man deshalb nach Biomarkern, die eine frühere Diagnose (bestenfalls schon mehrere zig Jahre bevor sich die Krankheit zu manifestieren beginnt) erlauben würden. Heilen würde man Alzheimer dadurch nicht, aber es entstünden neue Optionen zur Verlangsamung des Krankheitsverlaufs und zur Behandlung der Symptome, und somit auch zur maßgeblichen Verbesserung der Lebensqualität und evtl. sogar der Lebenserwartung. Potentielle Kandidaten für solche Biomarker wären, zum Beispiel, unterschiedliche Mikro-RNAs (miRNAs). In unserem Projekt erforschen wir an einer Messmethode mittels mikrofluidischen Biosensoren, die miRNAs in kleinsten Mengen, schnell und ohne vorherige Vervielfältigung in klinischen Proben nachweisen können. Leider ist die Datenlage zu diesen kurzen RNA-Sequenzen im Zusammenhang mit Alzheimer in der Fachliteratur zuweilen unübersichtlich und widersprüchlich. Deswegen haben unsere Projektpartner Prof. Michael Heneka an der Universität Luxemburg und Dr. Frederic Brosseron am Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e. V. (DZNE) in Bonn selber miRNAs in echten Proben untersucht und ein Paar ausgewählt. Wir sind gerade daran, unser System an die neuen miRNAs anzupassen. Danach wollen wir es an Patientenproben testen.

Gibt es Beispiele, in denen Biosensoren erfolgreich für die Diagnostik eingesetzt werden?

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Ja, heutzutage gibt es unterschiedliche Biosensoren, die erfolgreich für die Diagnostik eingesetzt werden. Die bekanntesten Beispiele sind die optischen Lateral-Flow-Assays für den Schwangerschaftsnachweis oder die COVID-19-Tests. Ein weiteres Einsatzgebiet ist das Blutzucker Monitoring für Diabetiker, wo unter anderem elektrochemische Glucose-Teststreifen aber auch tragbare Glucose-Sensor-Messsysteme zum Einsatz kommen.

Was genau ist das Prinzip von elektrochemischen Multiplex-Biosensoren?

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Das Prinzip, das unserem Messverfahren zugrunde liegt, besteht darin, die Ergebnisse verschiedener Bioassays, die in unterschiedlichen Abschnitten eines mikrofluidischen Chips durchgeführt werden, durch die katalytische Umsetzung von Glukose in Wasserstoffperoxid elektrochemisch sichtbar zu machen. Im Fall unseres Alzheimer-Projektes ist das Ziel die Identifikation sowie der Nachweis verschiedener mikro-RNAs, die als Biomarker zur frühzeitigen Diagnose der Krankheit verwendet werden könnten. Das Bioassay, das wir zu diesem Zweck entwickelt haben, basiert auf deren Erkennung durch Cas13a, einem CRISPR-Effektorprotein, das programmierbar bestimmte RNA-Sequenzen bindet und daraufhin eine sogenannte ‘Reporter-RNA’ schneidet. Findet dieser Prozess statt, so kann der Reporter nicht mehr detektiert werden, es findet keine Umwandlung von Glukose in Wasserstoffperoxid statt und somit entsteht eine invers proportionale Beziehung zwischen Alzheimer-spezifischer miRNAs in der Patientenprobe und ausgelesenem Signal; kurz: Wenig Signal lässt auf viel Biomarker schließen.

Im Rahmen der routinemäßigen Krankenversorgung gibt es nicht den einen beweisenden Test, der eine Alzheimererkrankung sicher diagnostiziert. Gibt es Vorteile für das Sensorverfahren im Vergleich zu herkömmlichen Untersuchungen?

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Das kann man jetzt noch nicht sagen. Grundsätzlich ist Diagnostik mittels miRNAs noch eine sehr junge Forschungsdisziplin und entsprechend weit von klinischer Validierung entfernt. Der aktuelle Goldstandard zum Nachweis von Nukleinsäuren jeder Art ist allerdings qPCR, welche mit hohen Material- und Personalkosten sowie zeitlichem Aufwand verbunden ist. Im Vergleich dazu ist unser Sensorsystem günstiger, schneller, handlicher und einfach zu bedienen. Entsprechend könnte man damit Tests vor Ort (z.B. in Arztpraxen oder Altersheimen) durchführen.

Wie wird der Biosensor die Behandlung von Patientinnen und Patienten mit Alzheimer verändern?

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Ich denke nicht, dass der Biosensor die Behandlung von Alzheimer PatientInnen verändern wird. Sein Zweck wird vor allem die frühzeitige Diagnose der Krankheit sein.

Was ist Ihre Version für eine optimale Diagnose in der Zukunft?

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Die Diagnostik und Überwachung der Behandlung von Krankheiten wird in der Zukunft nicht nur in zentralen Laboren oder Krankenhäusern, sondern auch vor Ort mit Hilfe von tragbaren (wearable) und/oder patientennahen Sensoren geschehen. Diese Sensoren werden günstig und einfach-zu-handhaben sein. Zudem werden diese Systeme über das Internet miteinander und mit verschiedenen Parteien des Gesundheitssystems (Ärzte, Versicherungen usw.) verbunden sein. Somit werden wir Krankheiten in Zukunft früher erkennen, Therapien überwachen und sogar personalisieren können.

Welche Hürden muss der Biosensor vor einer klinischen Zulassung überwinden? Welche Limitationen des Sensors erschweren dieses?

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Bisher haben wir an der Entwicklung des Biosensors erforscht. Aber für eine klinische Zulassung und eine mögliche Kommerzialisierung brauchen wir das komplette System, welches ein portables Messgerät für das Auslesen von Biosensoren beinhaltet. Dies wird eine von unseren zukünftigen Aufgaben sein. Eine andere Limitation von unseren Biosensoren ist, dass wir erst eine Probenvorbereitung benötigen. In diesem spezifischen Beispiel für die Alzheimer-Diagnostik liegt die aktuelle Limitation nicht an den Biosensoren, sondern an der Auswahl und der klinischen Validierung von miRNAs an klinischen Proben im Rahmen von großen Patientenstudien.

Gab es in Ihrem Leben ein Schlüsselereignis, das Sie zu Ihrer Arbeit an Biosensoren motiviert hat?

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Nach meinem Abitur hatte ich im Kopf zwei Studiengänge, die mich sehr interessiert haben: Biologie und Architektur. Ich habe dann aber mich für Mikrosystemtechnik entschieden, was im ersten Blick eigentlich nicht so viel mit den beiden Themen gemeinsam hat. Während meinem Studium wollte ich als HiWi arbeiten und da gab es eine Stelle für elektrochemische Sensoren, was mich fasziniert hat. Das war dann der Anfang einer langen Geschichte, die mich dann am Ende zu Biosensoren für unterschiedliche Anwendungen führte. Interessant, aber jetzt baue ich quasi Mikrostrukturen (wie ein Architekt) und kombiniere diese mit (synthetischer) Biologie (wie ein Biologe), um Krankheiten schneller und sensitiver vor Ort zu bestimmen.

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